Unterrichtsstunde zum Windkraft-Repowering in Hamburgs Südosten

Windkraftanlagen, Stromtrasse, WortfeldWindenergie in den Vier- und Marschlanden, ein Thema, das vielen auf den Nägeln brennt und bei dem jeder seine eigenen Vorstellungen und Definitionen pflegt. Um einen gemeinsamen Informationsstand zu erreichen, war am 6. Oktober 2011 kein Runder Tisch, wie von einigen gefordert, aber immerhin eine Informationsveranstaltung im Großen Sitzungssaal des Bergedorfer Rathauses angesetzt worden.

Alle, die etwas beizusteuern hatten, waren da: Die planende Behörde BSU in Person von Karen Bruns, Ole Augustin, Klaus Soltau und Jens Heidorn von den Ingenieurbüros »Dr. Augustin Umwelttechnik« und »Net OHG«, Angehörige aller Bergedorfer Fraktionen sowie Mitglieder der Bürgerinitiativen aus Ochsenwerder (BI-W-O) und vom Kiebitzdeich. Und natürlich fehlte auch Arne Dornquast nicht, der Chef von Bergedorf. In den rund zwei Stunden, die die Sitzung dauerte, lernten alle voneinander. Politiker und Bürger erfuhren von Ingenieuren die konkreten Planungen zum Repowering und erhielten nebenbei eine kleine Physikstunde, um die Grundlagen der Windenergie verstehen zu können. Die Bürger indes brachten Ingenieuren und Politikern ihre Befürchtungen und Sorgen näher, die diese sich an Reißbrettern und in Amtsstuben möglicherweise gar nicht recht vorstellen konnten.

Windkraftanlage, Industriebauwerk, Nabenhöhe, Gesamthöhe, Leistung, Ertrag, Disko-Effekt, Höhenbefeuerung, Landschaftsbild, Lärm, Schattenwurf... – seit klar ist, dass die Vier- und Marschlande einen erheblichen Teil von Hamburgs Windenergieplänen ausmachen und das Repowering, das heißt, das Ersetzen der bestehenden alten Anlagen durch neue, höhere und wesentlich leistungsfähigere, Auswirkungen auf Landschaftsbild und Lebensqualität in den betroffenen Arealen haben könnte, ist eine Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern der Planungen entbrannt. Viele neue Vokabeln schwirren durch den Raum und jeder versteht etwas anderes darunter. Erwartungen, Vorurteile und politische Aufträge zur „Energiewende“ scheinbar ohne Rücksicht auf betroffene Anwohner tun ihr Übriges, um den Widerstand wachsen zu lassen.

Die Informationsveranstaltung zum »Repowering in den Vier- und Marschlanden« hatte auf Anregung von Ernst Heilmann (Die Linke.Bergedorf) stattgefunden. Von der BSU initiiert und vom Bezirksamtsleiter Arne Dornquast moderiert, sollte sie explizit kein Runder Tisch sein, bei dem es um Mediation gegangen wäre, darum, den bestehenden Widerstand der Anwohner mit den Repowering-Plänen in Einklang zu bringen, sondern eine Gelegenheit, bei der alle beteiligten Parteien auf denselben Kenntnisstand und zu einer gemeinsamen Sprache kommen sollten.

Dass der Plan, die Vier- und Marschlande mit einem ordentlichen Reposweringprojekt zu bedenken und den Hamburger Südosten damit seinen Beitrag zur Energiewende leisten zu lassen, im Grunde unumstößlich sei, machte Dornquast gleich zu Anfang klar. Die Begrifflichkeiten zu klären, damit alle das Selbe verstehen und damit »gegenseitiges Vertrauen in die Belastbarkeit der Annahmen entsteht«, dazu sei man hier zusammen gekommen, erklärte Dornquast zu Beginn der Sitzung.

Dazu gab es zunächst einmal Informationen über die Sachstände. Frau Bruns: Die Planungen sind allen bekannt. Sie wurden im November 2010 im Lichtwarkhaus der Öffentlichkeit vorgestellt. Seither sind sie zwar punktuell verfeinert worden, seien im Wesentlichen aber unverändert geblieben. Mitte Oktober sollen die sog. Träger öffentlicher Belange (rund 130 an der Zahl) um Stellungnahme gebeten werden, ein Prozess, der Ende November abgeschlossen sein soll am 9. Dezember abgeschlossen wird. Nach behördeninterner Erörterung und Einarbeitung evtl. Einwände sollen die Planungen voraussichtlich Ende 1., Anfang 2. Quartal 2012 öffentlich ausgelegt werden. Dann haben alle Betroffenen vier Wochen lang Zeit, Einwendungen zu machen. Auf der Grundlage wird die BSU eine Bürgerschaftsvorlage zur Abstimmung entwickeln, so dass mit dem Beschluss gegen Ende 2012 zu rechnen ist.

Die Planungsbüros stellten die derzeitigen Planungen in Zahlen und mit Kartenmaterial vor. Zurzeit ist es so, dass die derzeit 27 Anlagen auf 26 reduziert werden sollen. Die neuen Anlagen sollen allerdings höher als die alten sein und auch größere Rotoren haben, sodass der Gesamtertrag von derzeit 20 auf 130 Millionen Kilowattstunden pro Jahr steigen wird. Dass dies solange nicht das letzte Wort sei, bis die Bürgerschaft voraussichtlich Ende 2012 grünes Licht gibt, wurde auch deutlich gemacht. Die Anzahl der neuen (Ersatz-)WKAs könne noch variieren.

Eine Vielzahl interessanter Details wurde im Verlauf der technischen Vorstellungen deutlich: Zum Beispiel, dass mit zunehmender Höhe einer Windkraftanlage (WKA) der Ertrag steigt, dass der Ertrag, also die »Ernte« in Kilowattstunden pro Jahr (kWh/a) gemessen wird und dass sie auch, aber nicht nur von der (Nenn-)Leistung einer WKA abhängt, welche man in der Einheit Megawatt (MW) misst.[1]

Der Einfluss der geplanten Anlagen auf die schöne Vier- und Marschländer Kulturlandschaft und seiner Menschen waren vorrangiges Thema bei den betroffenen Bürgern. Sie brachten ihr Bedenken vor, dass Schall- und optische Effekte der WKA Anwohnergesundheit und Grundstückswerte negativ beeinflussen würden. Das Argument, dass die Auswirkungen auf das Landschaftsbild minimiert werden, wenn an einem Standort viele kleine Anlagen durch wenige große Anlagen ersetzt werden, mochten zumindest die Mitglieder der Bürgerinitiativen nicht so recht glauben. Für Lacher und für entnervtes Abwinken gleichermaßen sorgte Lutz Jobs mit seiner Ansage: »Ich weiß, ich mache mich jetzt unbeliebt, aber ich finde Windräder schön. ... Als Anwohner der A25 muss ich damit leben, dass Menschen eine andere Vorstellung von Mobilität haben als ich. Ich verlange nicht, dass deshalb die A25 nachts stillgelegt wird. Im 21. Jahrhundert müssen wir mit Einschränkungen leben.«

Ein klares Manko zeigte sich deutlich und zog sich wie ein roter Faden durch die Wortmeldungen: Vorstellen können sich die meisten nicht so richtig, wie die repowerten Windräder in der Realität einmal aussehen werden. Die schwarzen Anlagen in den Projektionen der BSU lassen möglicherweise den falschen Eindruck entstehen, dass sie das Landschaftsbild erschlagen. Arne Dornquast bat daher Jens Heidorn von der Net OHG, weitere, andere, vielleicht animierte Projektionen der verschiedenen Standorte anzufertigen. Rainer Deutschmann schlug vor, einmal einen der modernen Windparks mit vergleichbaren Anlagen zu besuchen und sich so einen Eindruck von den wahren Verhältnissen zu verschaffen.

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[1] Wenn man sich die Ausführungen von Robert Melchner durchliest, bekommt man eine Idee von der kleinen Physikstunde, die da im Rathaussaal auch ablief.
Schön erklären lassen kann man sich die technischen Grundlagen von Windkraftanlagen von Lukas Salzburger. Dessen Vortrag beim Chaos Communication Camp 2011 kann man sich hier anschauen.

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