Graugänse: Ungebetene Gäste am reich gedeckten Tisch

Graugänse im Winter
Seit gut 20 Jahren nimmt die Gänsepopulation in den Vier- und Marschlanden rasant zu. Inzwischen haben sich die einst seltenen Vögel zu einem wirtschaftlich relevanten Problem entwickelt. Vor allem Landwirten, aber auch Touristen sind die Tiere mehr und mehr ein Dorn im Auge. Erstere melden wiederholt Fraßschäden auf bestellten Feldern mit Winterweizen, Raps und Petersilie, letztere ekeln sich vor verkoteten Spazierwegen. Auch von Krankheiten wird gemunkelt, die durch den Gänsekot auf Nutztiere übertragen werden. Die Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) hat daher ein Gutachten anfertigen lassen, dessen Ergebnis [PDF 9,3 MB] in der gestrigen Sitzung des Regionalausschuss der Vier- und Marschlande vom Gutachter, dem Dipl. Biol. Alexander Mitschke, vorgestellt wurde.

Das Gutachten basiert auf Daten, die von Februar bis November 2011 durch stichprobenartige Zählungen zwischen Altengamme und Allermöhe erhoben wurden, zumeist an mit dem PKW erreichbaren Punkten. Areale wie das gesamte Spadenland und Tatenberg im Westen oder entlang des Marschbahndamms im Osten sind nicht berücksichtigt worden. So kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass in den Vier- und Marschlanden rund 1000 Graugänse und etwa 240 Höckerschwäne siedeln. Diese Bestände seien stagnierend, eine weitere Zunahme nicht zu erwarten. Die Zahlen weiterer Entenvogelarten seien vernachlässigbar, lediglich die Nilganspopulation könne in den kommenden Jahren zunehmen. Es ist der dringende Wunsch der örtlichen Landwirte, die Populationen zu dezimieren; die BSU stellte eine Reihe von möglichen Maßnahmen zur Eindämmung der Plage vor.

Graugänse und Schwäne im WinterNoch vor 50 Jahren existierten keine dauerhaften Bestände von Graugänsen oder anderen Entenvögeln im Hamburger Raum. Die Tiere nutzten das Gebiet nur sporadisch auf dem Durchzug zwischen ihren Überwinterungsgebieten in Spanien und Nordafrika und ihren Sommerrevieren in Skandinavien. Der Klimawandel einerseits, aber auch die Wiederansiedlung von Graugänsen in den Vier- und Marschlanden ab den 1950er-Jahren und die intensive Landwirtschaft selbst haben die Voraussetzungen für die heutige Situation geschaffen. Seit Jahren überwintern immer mehr Exemplare dieser Spezies in den Vier- und Marschlanden, wo auch im Winter der Tisch immer reich gedeckt ist und Raps und Wintergetreide sprießen.

Seit den 1990er-Jahren zeigt die Statistik eine fast schon explosionsartige Zunahme der Graugans-Population, in Hamburg wie in ganz Nord-West-Europa. 1979 zählten die Ornithologen gerade mal 7 Brutplätze im ganzen Landgebiet. Noch Anfang der 1980er-Jahre wurden »importierte« Graugans- und Höckerschwaneier in Nester in den Kirchwerder Angelteichen zum Bebrüten gelegt. 1991 wurde das erste Graugansgelege an der Reitschleuse beobachtet. Dann setzte eine rasante Vermehrung ein. Zu der früheren Begeisterung der Naturschützer gesellt sich nun der Unmut von Gartenbauern und Landwirten, denn deren bestellte Felder bieten den Vögeln ihre Lieblingsspeisen. Garniert mit etwas Petersilie sogar, wie das Gutachten weiß: »... kam es 2010 zu Verlusten auf einer mit Petersilie bestockten Sonderkultur im Einzugsbereich der Kirchwerder Angelteiche und des Hower Sees.«

»Das Problem ist menschgemacht.«

Graugänse sind Kulturfolger. Sie bevorzugen intensiv bewirtschaftetes, gedüngtes Land, leben ansonsten althergebracht in Wassernähe auf Grünland. So finden sie in den Vier- und Marschlanden ideale Bedingungen. Zudem ermöglicht ihnen die Klimaerwärmung, vor Ort zu überwintern. Zu den standorttreuen Tieren gesellen sich wochenlang Zuzieher aus weniger nahrungsreichen Gebieten; hier im Winter aus dem Süderelberaum.

Auch an Brutplätzen herrscht für die bestehende zu große Population kein Mangel. Gern nisten die Tiere auf Inseln, wo sie ihren Nachwuchs ungestört aufziehen können. Erst der vom Menschen modellierte Wechsel von Wasser- und Landflächen verschaffte den Tieren die wohnliche Umgebung in einem Ausmaß, das das Ungleichgewicht weiter fördert. Sogar ihren Hauptfeind, Reinecke Fuchs, halten die freundlichen Menschen ihnen vom Leibe, freilich unbeabsichtigt. Zu beobachten ist das in den Kirchwerder Angelteichen, in denen Landzungen zu Inseln umgeformt wurden, damit das Wasser besser zirkulieren kann. Nun sind die Nester frei von jeder Bedrohung durch den Fuchs und die Gänse danken das durch kräftige Vermehrung.

Schadensbegrenzung

Vieles kann getan werden, um die Vermehrung der Gänse auf ein erträgliches Maß abzubremsen. Der Gutachter zählte eine Reihe von Möglichkeiten auf. Zum einen die im herrlichen Amtsdeutsch »letale Maßnahmen« genannten, aber sämtlich nicht empfehlenswerten Maßnahmen wie z.B. Abschießen (was nicht nur ineffektiv ist, sondern was die Jäger auch nicht wollen, weil sie nicht an den Pranger gestellt werden wollen, wie Kreisjägermeister Thomsen einbringt) oder Eier anstechen (sodass keine Küken schlüpfen). Anstechen oder die Eier aus den Nestern weg zu nehmen nütze auch nichts, weiß der Gutachter, denn die Gänse legen nach. Der Vorschlag eines Abgeordneten, durch präpariertes Futter eine Sterilisation der Tiere vorzunehmen, traf auf hochgezogene Augenbrauen bei den meisten Anwesenden.

Verscheuchen der Tiere ist auch gerade im Winter nicht anzuraten, denn durch unnötig viel Fliegen müssen die Gänse nur noch mehr fressen. »Wir können die Gänse nicht aus den Vier- und Marschlanden vertreiben.«, sagte der Experte kategorisch und schlug vor, vertretbare Maßnahmen zu kombinieren, z.B. Stoppelfelder länger stehen zu lassen, damit die Gänse da fressen können, und dort Gasballons aufzustellen, wo die Saat aufläuft, denn die Ballons irritieren die Tiere und halten sie erfolgreich fern.

Frau Malzburg von der BSU schlug außerdem vor, die Zahl der Brutplätze zu dezimieren, konkret: testweise einige der Inseln in den Kirchwerder Angelteichen (außerhalb des Naturschutzgebietes) wieder mit dem Land zu verbinden, so dass der Fuchs wieder mehr für ein natürliches Gleichgewicht sorgen kann. Wenn sich ein Erfolg erkennen lasse, dann könne die Methode eventuell auch im NSG angewandt werden. Sie betonte auch, dass eine weitere Extensivierung der Landwirtschaft aus Sicht des Naturschutzes wünschenswert sei und regte die Landwirte an, darüber nachzudenken.

Wer zahlt?

Die anwesenden Landwirte in der Regionalausschusssitzung haben jedoch erstmal andere Sorgen. Wer die entstandenen Schäden bezahlen könnte, fragen sie. Niemand kennt eine Versicherung gegen Fraßschäden durch Wildtiere. Auch die Umweltbehörde sei hier nicht zuständig, sagte Frau Malzburg. Der Landwirt Jacobsen aus Ochsenwerder, der Land von Spadenland bis zur Reit bewirtschaftet, hat große Schäden an die Landwirtschaftskammer gemeldet. »Wer den Schaden verursacht, der muss auch zahlen!«, meint er, wobei offen bleibt, wer eigentlich schuld an der Plage ist. Und der Kreisjägermeister berichtet von seinem Nachbarn, der »30.000 Euro Fraßschäden auf 5 Hektar« bei der Umweltbehörde einklagt.

Es zeigte sich, dass die Bezifferung des Schadens im Einzelfall schwierig ist. »Fraßschäden sind nicht automatisch Ertragsschäden.«, sagen die Frauen Malzburg und Bühler unisono. Weil die Jungpflanzen meist nachwachsen, zudem sei der Vogelkot auch ein guter Dünger. Weil Erträge von vielen Faktoren, nicht nur von Fraß durch Gänse beeinflusst werde. Schwierig auch deshalb, weil niemand genau weiß, wieviel eine Graugans eigentlich frisst. Der ornithologische Gutachter will das in Erfahrung bringen. (Das Fressverhalten der Höckerschwäne wurde nicht diskutiert, dürfte hier aber besonders interessant sein. Denn wie ein Landwirt aus Altengamme weiß, wo viele Dutzend Schwäne regelmäßig in den Wintermonaten gastieren: »Die Schwäne sind wahre Fressmaschinen. Die fressen pausenlos und sie trampeln mit ihren großen Füßen alles platt. Die Gänse ruhen zwischendurch wenigstens mal und fressen nicht in einer Tour.«)

Und es stellte sich heraus, dass noch ein zweites Gutachten, oder besser: eine Erhebung entstanden ist, und zwar über die Schäden, die die Landwirte seit letztem Jahr ihrer Kammer gemeldet haben. Frau Dr. Bühler von der LWK bestätigte das. Die Abgeordneten im Regionalausschuss baten Frau Dr. Bühler daraufhin, ihnen dieses »Schadensgutachten« zugänglich zu machen.

Höckerschwäne im Winter
Sie fressen ohne Pause und richten große Schäden an: Höckerschwäne, hier auf einem Feld in Altengamme.


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