»Ich fordere eine Seniorenrevolte!«

Konstantin Wecker, 4. Mai 2012Etwas Besonders wollten sie ihren Mitstreitern, Freunden und Partnern der Körber-Stiftung und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, gönnen, als sie Konstantin Wecker zum Konzert am 4. Mai 2012 in die stiftungseigene Begegnungsstätte »Haus im Park« engagierten. Und wohl auch sich selbst, auch wenn Karin Haist, Leiterin Bereich Gesellschaft, und Anja Paehlke, Leiterin des Haus im Park, das in ihrem geschmeidigen Begrüßungsdialog vor rund 500 geladenen Gästen nicht so direkt aussprachen. Das Konzert stand im Kontext des Deutschen Seniorentages 2012, der dieses Jahr in Hamburg stattfand.

Das auf den ersten Blick etwas provozierende Motto »Alter neu erfinden« lösten die beiden Frauen schnell auf: »Wir altern länger, gesünder, aktiver... anders. Wir hier im Haus im Park erfinden Alter täglich neu, arbeiten an einem differenzierten Altersbild.« Der gezeigte Imagefilm ließ zahlreiche Seniorinnen und Senioren zu Wort kommen, die das Begegnungszentrum in seiner ganzen Vielfalt nutzen, von Bewegung über Bildung bis hin zur Arbeit mit jungen Menschen, Senioren, die sich ehrenamtlich engagieren und die eines bestimmt nicht sind: Konsumenten von Angeboten, sondern aktive Macher. Nicht nur für die eigenen Belange, sondern auch im Dialog der Generationen. Den Rest der Botschaft überließen die beiden Frauen dem poetischen Barden Konstantin Wecker, der wohl älter geworden, aber nicht gealtert ist. Und jeder, der ihn schon länger kennt, konnte mit Freuden feststellen, dass der Liedermacher mit den Jahren rein gar nichts an Biss und an Kraft verloren hat.

Als Wecker mit seinem, wie er ihn zärtlich nennt, »musikalischen Lebensgefährten« Jo Barnikel auf die Bühne trat, brach frenetischer Applaus los, Pfiffe und Rufe, ganz wie damals in den 1970er-Jahren, als alle noch jung waren und die jetzt Barhäuptigen noch lange Haare und einen Vollbart trugen. Der erste Song schob eventuellen altersbedingten Endzeitgedanken gleich den Riegel der prallen Lebenslust vor: »Leben im Leben« wurde mit tosendem Applaus quittiert. Hier traf das richtige Publikum auf den richtigen Botschafter. Auch Wecker, der in wenigen Wochen das 65. Lebensjahr vollendet, beschäftigt sich seit nun geraumer Zeit mit dem Unausweichlichen, dem Älterwerden. Das Lied »I werd oid«, entstanden vor 14 Jahren, spiegelt Empfindungen, die wohl jeder (Mann) hat, der mit der zunehmenden körperlichen Veränderung jeden Morgen im Spiegel konfrontiert wird und der sich am Anfang noch trotzig fragen mag, ob man mit 50 wirklich schon zu den Senioren zählt. Empfindungen, die viele im Saal nachvollziehen konnten, so humorvoll vorgetragen, dass über die doch teils schmerzlichen Verluste herzhaft gelacht werden konnte.

Nachdem das Publikum entsprechend eingestimmt war, stellte Karin Haist dem »Liedermacher, Poet, Rebell, Schauspieler, Komponist, Künstler mit mehr als 40 Jahren Berufserfahrung und jetzt Stargast auf dem Deutschen Seniorentag« Fragen, die wohl alle bewegen. Nicht ohne eingangs festzustellen: »Das Alter ist auf dem Weg und es steht Ihnen.« Ob das Alter, das Älterwerden auch ein Grund zur Freude sei, weil man nicht mehr mit Gewalt jung sein muss, wollte sie vom Künstler wissen. »Man muss es anschauen, man muss es annehmen, und man muss es als große Chance wahrnehmen, wirklich in der Zeit zu sein, die einem das Leben grade zur Verfügung stellt.«, meinte Wecker. Er glaubt, es ist ein großer Fehler, sich immer mit Gewalt jung machen zu wollen. Natürlich sei es ein Riesengeschäft in unserer Gesellschaft, aber es bringe der eigenen Psyche nicht viel, wenn man sich zum Beispiel in die Hand der Schönheitschirurgen begebe, sagt der, dem das Alter wirklich gut zu Gesicht steht.

Altern bedeute nicht unbedingt, genügsamer zu werden oder weniger engagiert sein. Vielleicht sogar das Gegenteil durch die Chance im Altern, die Vergänglichkeit von allem zu erkennen und mehr im Augenblick zu leben, den Augenblick zu nutzen im Wissen um die Endlichkeit des eigenen Lebens, meinte Wecker und zitierte aus einem seiner Gedichte:

»Wenn du stirbst, stirbt nur dein Werden,
gönn ihm keinen Blick zurück.
In der Zeit muss alles sterben,
aber nicht im Augenblick.«

Weckers neuestes Album heißt »Wut und Zärtlichkeit«; er erklärte, warum. »Ich dachte immer, je älter ich werde, desto mehr kann ich zu einem Liebenden werden«. Aber er könne nicht in Liebe zerfließen, wenn er beobachtet, wie ungerecht es in der Gesellschaft zurzeit zugeht. Früher habe er noch gedacht, man könne alles im Leben unter einen Hut bringen, inzwischen ist er weiser: »Man kann zwischen Wut und Zärtlichkeit, zwischen Liebe und Engagement hin- und hergerissen sein. Das gehört zum Menschen, ich will es nicht mehr zusammen bringen, ich will keine Formel mehr finden.«

Und er wolle die Wut durchaus auch auf Ältere übertragen, konstatierte Haist und zitierte Wecker: »Wer, wenn nicht die Älteren, hat genug erlitten, um jetzt endlich ohne Furcht auf den Tisch zu hauen. Ich fordere eine Seniorenrevolte, die den Jungen die Richtung weist.« Konstantin Wecker wäre nicht Wecker, wenn ihn das nicht aufregen würde. Er sagte, es sei ja eigentlich »notwendiges Vorrecht der Jugend zu rebellieren, aber mir scheint, dass da seit 20, 30 Jahren eine Gehirnwäsche in Gang ist, die den Jungen einredet, Rebellieren sei nicht sexy, nicht cool, so dass sie lieber zu H&M gehen und sich sexy Kleidung kaufen.« Natürlich gibt es junge Leute, die demonstrieren, die sieht er ja auch, denn er geht ja selbst auch immer noch demonstrieren, gegen Nazis. Aber es sind zu wenig. »Und wir brauchen die revoltierende Jugend, weil es zu einer Demokratie gehört und zum Regieren. Das muss sein. Und da die Jugend es zurzeit nicht so hat mit dem Revoltieren, baue ich auf die Alten!« Kräftiger Applaus bekräftigte diese Ansage.

Der große Zuspruch, den das Konzert beim Publikum fand, unterstrich den Anspruch, den sich die Körber-Stiftung ganz im Sinne ihres Gründers und Namensgebers auf die Fahnen geschrieben hat: Die Älteren anstiften zum weisen Handeln und zum »Engagement zwischen Wut und Zärtlichkeit«. Das kraftvolle Konzert, bei dem Konstantin Wecker wie immer kein Blatt vor den Mund und Jo Barnikel beim Song über Angela Merkel auch mal eine Sarkozy-Maske vors Gesicht nahm, war ein Manifest des Widerstehens... gegen das Stillhalten, gegen das Absurdistan der Raffgierigen..., und auch eine zärtlich poetische Betrachtung des Älterwerdens und dabei lebendig Bleibens. »Empört Euch« war denn auch das lauteste Stück an diesem Abend und im Theatersaal im Haus im Park wackelten die Wände.

Zumindest einige im Publikum waren neu befeuert, wie schon damals in ihrer Jugend, als die Lieder von Konstantin Wecker in ihnen den Keim des kritischen Denkens gelegt haben. Das war klar an den glänzenden Augen zu erkennen und aus den Gesprächen zu hören, die noch lange anhielten, als das Konzert längst vorüber war.

Auffrischen kann man dieses Gefühl beim nächsten Auftritt von Konstantin Wecker in Hamburg am 5. August auf der Freilichtbühne im Stadtpark.

Konzert von Konstantin Wecker am 4. Mai 2012 im Haus im Park der Körber-Stiftung
Lauter UHUs, manche von ihnen sogar noch recht jung, gaben ein begeistertes Publikum beim Konzert von Konstantin Wecker am 4. Mai 2012 im Haus im Park der Körber-Stiftung.


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