Landgebiet via Dove-Elbe/Schlinz entwässern?

Bericht aus der Sitzung des Vier- und Marschländer Regionalausschusses (RgA) am 12. Juni 2012

Schemazeichnung Wasserbauwerke Vier- und Marschlande
In der Theorie wohl die beste Variante zur optimierten Entwässerung: Ein neues Schöpfwerk im Altengammer Hauptdeich.
13.06.2012 | Die Binnenentwässerung der Vier- und Marschlande und die erstmalig endgültige Herstellung der noch übrigen alten Straßen waren die Hauptthemen der gestrigen Juni-Sitzung des Regionalausschuss. Nicht ganz soviele Bürger wie sonst beteiligten sich diesmal daran und auch die Reihen der Politiker waren etwas lichter als üblich. Möglich, dass die Themen auf der Tagesordnung etwas weniger attraktiv waren als das EM-Spiel Griechenland gegen Tschechien, auch wenn sie Teile der Landbevölkerung ganz unmittelbar betrafen, nicht zuletzt auch finanziell...

Erstmalig endgültige Herstellung von Straßen
In der Bürgerfragestunde, die gemäß Geschäftsordnung jeder Ausschusssitzung vorangestellt ist, erkundigten sich mehrere Bürger aus dem Stegelviertel (Neuengamme) und der Eschenhof-Siedlung (die zu Bergedorf gehört und damit nicht in die Kompetenz des RgA fällt) nach den Plänen bezüglich der so genannten »erstmalig endgültigen Herstellung« (EEH) von Straßen. Sie wollten wissen, warum die EEH ausgerechnet jetzt umgesetzt werden solle, nach welchen Kriterien die Reihenfolge der Straßen festgelegt wurde, und auch, welche Kosten auf sie zukommen. Uwe Czaplenski, Baudezernent Bergedorf, der seit seiner Wahl auf diesen Posten regelmäßig den RgA-Sitzungen beiwohnt, erklärte, dass der Hamburger Rechnungshof auf die Umsetzung des seit 1999 anhängigen Projektes dränge, um offene Einnahmen zu erledigen. Die Bürger waren sehr gut informiert und hatten auch schon die Beschlussvorlage zur EEH [PDF] gelesen. Czaplenski informierte die Bürger, dass vor Baubeginn jeweils straßenweise die Anwohner informiert werden sollen, per Postwurfsendung oder durch Boten, und dass es auch für jede Straße eine Anwohnerinformationsveranstaltung geben solle. Peter Gabriel von der SPD-Fraktion ergänzte, dass dann auch immer das Abgabenamt dabei sei, Profis, »die haben das auch in Ochsenwerder schon durchgezogen« (mit dem Ergebnis, dass das Verfahren dort weiterhin schwebt; siehe Beschlussvorlage).

Brigitte Schiffler, Fraktion Die Linke., hakte noch einmal bei der Priorisierung nach, ob denn bei der Festlegung der Reihenfolge des Ausbaus auch soziale Kriterien eine Rolle gespielt haben, denn immerhin müssten Hausbesitzer für die Anliegerbeiträge tief ins Portemonnaie greifen. Ein Nachbar aus Ochsenwerder warf die Zahl 10.000 Euro als Beitrag für ein 1.000 m² großes Grundstück ein. Ein anderer Nachbar aus dem Stegelviertel wusste von einer Studie, laut der 2 % aller Hausbesitzer von solchen Straßenbauprojekten finanziell überlastet sind und ihr Haus nicht mehr halten können. Er fürchtete, dass der Drang zu normgerechten Straßen für einige Hausbesitzer im Landgebiet den Verlust ihres Hauses bedeute, eine Art Gentrifizierung auf dem Dorf. Czaplenski und auch der RgA-Vorsitzende Bernd Capeletti (CDU) beruhigten: Es sei noch niemand aus seinem Haus gezwungen worden, es gebe immer Möglichkeiten, die Härte herauszunehmen durch Stundungen der Beiträge etc.. Die Beschlussvorlage wurde einstimmig ohne Enthaltungen angenommen.

Binnenentwässerung
Zweites, ebenfalls sehr lebensnahes Thema war die problematische Binnenentwässerung der tiefliegenden Gebiete in den Vier- und Marschlanden. Dazu stellte Volker Behrendt die Frage an den anwesenden Experten des Landesbetriebs für Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), ob die kommende Fahrrinnenvertiefung in die Berechnungen der LSBG mit eingeflossen seien. Dr. Karl Hähne, dessen Vortrag den nächsten TO-Punkt stellte, antwortete, dass er über die Elbvertiefung zu wenige Details wisse, um über deren Einfluss Auskunft geben zu können. Die Elbvertiefung sei ein ganz anderes Thema, das ja auch von der Wirtschaftsbehörde betrieben werde. Die Auswirkungen der Elbvertiefung auf die Binnenwasserstände in den eingedeichten Flussmarschen seien in deren Planfeststellungsbeschluss beschrieben.

Dann war die Bürgerfragestunde zu Ende und Dr. Hähne, Projektleiter im LSBG, hielt seinen Vortrag. Zunächst verdeutlichte er die bekannte Situation: Bei viel Wasser von oben – starke Regenfälle oder Schneeschmelze – und zeitgleich viel Wasserandrang von der Seite (sturmflutbedingte Kettentiden; oberstromiges Hochwasser) können die tiefliegenden Gebiete in den Vier- und Marschlanden nicht ausreichend entwässert werden. Die Entwässerung in den Elbstrom, die derzeit und nur über einen einzigen Auslass, das Tatenberger Siel, geschehen kann, funktioniert bei Elbwasserständen über ca. 1 Meter über Normalnull nicht mehr, mit dem Effekt, dass große Flächen buchstäblich absaufen.

An Hand eines hydrologischen Gutachtens, erarbeitet von der Firma BWS erarbeitet hat, hat das Team um Dr. Hähne unterschiedliche Varianten durchgerechnet, wie das Landgebiet zukünftig ausreichend entwässert werden könnte. Hähne merkte an, dass die Maßnahme(n), wie auch immer sie am Ende der Planungen beschaffen sei, im Rahmen des laufenden Hochwasserschutzprojektes angesiedelt sei und aus dessen Budget finanziert werden soll.

Im Schnitt kommt es alle 2,2 Jahre zu nicht tolerablen Überschwemmungen in den Vier- und Marschlanden. Ein zunehmendes Problem sind die prognostizierten Niederschlagsmengen, die bis Ende des Jahrhunderts um 7 Prozent ansteigen werden, berichtete Hähne. Zwar soll jetzt gezielt mit Flächenentsiegelung gegengesteuert werden, dennoch werden die vorhandenen Wasserläufe und -bauten auch in Zukunft nicht mehr ausreichen. Allein die Bille, die via Bergedorf in die Dove-Elbe entwässert, überfordert das System im Lastfall heute schon, sagte Hähne. All diese Entwicklungen seien in die Modellrechnung eingeflossen, die auf der Basis eines 30-Jahre-Hochwasers in der Bille und einer gleichzeitigen Sturmflut über ca. 24 Stunden gerechnet wurde, und auch die Hochwässer 2011 und 2012 seien darin berücksichtigt worden.

»Die Vier- und Marschlande sind kompliziert.«, sagte Hähne.¹ 6 hydraulische Varianten wurden durchgerechnet, darunter die mit einem einzigen Schöpfwerk in Tatenberg, welches dann aber gewaltige 45 m² pro Sekunde pumpen müsste und damit viel zu groß werden würde. Was sowieso völlig abwegig wäre, wie Bernd Capeletti einwarf, weil dann sofort die Boote im Yachthafen Tatenberg auf dem Trockenen lägen. Eine andere Variante beinhaltet drei Schöpfwerke entlang des Hauptdeichs, die ausreichend effizient wären, um die Binnenwasserstände erträglich niedrig zu halten, jedoch: »Durchschnitte durch den Hauptdeich mögen wir Wasserbauer überhaupt nicht. Sie sind nach Möglichkeit immer zu vermeiden.«, sagte Hähne kategorisch. Schlussendlich kristallisierte sich als hydraulisch empfohlene Variante heraus, neben anderen Optimierungsmaßnahmen im Wesentlichen die Kurfürstenschosse (einen Entwässerungskanal am Krapphof) zu ertüchtigen und ein Schöpfwerk im Hauptdeich am oberen Ende der Dove-Elbe einzubauen. Dadurch könnte das Wasser, das die Bille und den Schleusengraben herabfließt und Bergedorf bedroht, sehr viel schneller als jetzt abfließen und via Dove-Elbe, quasi flussaufwärts, durch den Hauptdeich auf Höhe der Schlinz abgeführt werden. In welcher Form die obere Dove-Elbe, die durch Eindeichung vom Elbestrom abgetrennt wurde und heute als Rinnsal beginnt, ausgebaut werden müsste, dazu konnte Hähne mangels belastbarer Daten noch nicht Stellung nehmen.

Als nächste Schritte im Verfahren, das in enger Zusammenarbeit zwischen dem Bezirk Bergedorf, Hamburg Wasser bzw. dem Wasserwerk Curslack und dem LSBG von statten gehen soll, nannte Hähne eine intensive Kosten-Nutzen-Rechnung der möglichen Varianten. Die Planung soll 2013 abgeschlossen und der Entwurf (Antrag zur Planfeststellung) fertiggestellt sein; das Planfeststellungsverfahren soll 2014 abgeschlossen sein, sodass 2015 mit dem Bau der Entlastungsbauwerke begonnen werden kann. Der Wasserbauexperte bot dem Gremium abschließend an, wieder zu berichten, wenn es Neues gibt.

Die übrigen Punkte auf der Tagesordnung dieser letzten Sitzung vor der Sommerpause waren schnell abgehandelt. Politik und Verwaltung halfen, wie schon zuvor in der Bezirksversammlung, der Deutschen Post Aktiengesellschaft dabei, einen »Partner« als Ersatz für die eingesparte Filiale in Ochsenwerder [PDF] zu finden. Bernd Capeletti berichtete, dass die lokale Gebietsleitung der Post bislang vergeblich nach einem Partner suche und die Verwaltung um Unterstützung gebeten habe. Wer sich als »Partner« bewerben möchte, kann dies ausschließlich über das online-Portal der Deutsche Post AG tun, wie diese auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilte. Allerdings habe das Portal im Moment technische Probleme und sei nicht erreichbar. Der Vertrag zwischen Post und »Partner« werde individuell geregelt; was mit einer solchen Poststelle verdient werden kann, hänge dabei vom Umsatzpotential vor Ort ab, weswegen diese »Partnerverträge«, auch postintern, zuweilen als Knebelverträge bezeichnet werden.

Die SPD-Fraktion zog im Einvernehmen mit der CDU-Fraktion ihren Antrag zur Namensgebung für den nördlichen Bahnweg zurück, um ihn eventuell zur nächsten Sitzung neu formuliert noch einmal einzureichen.

Schließlich gab es noch den Hinweis, dass der »Termin zum Austausch Schule Kirchwerder« am 18. Juni um 18 Uhr ebendort stattfindet.

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¹ Einen guten Überblick über die Komplexität der hydraulischen Situation gibt diese Präsentation von Dieter Ackermann und Nils Petersen von 2011:
»Aspekte der Binnenentwässerung von Niederungsgebieten in der Freien und Hansestadt Hamburg« [PDF]

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