Nazis blamieren sich in Bergedorf

Polizeikette, NPD-Truck, Alte Holstenstraße
NPD-Truckstop in Bergedorf-Lohbrügge: Nur »harmlose« Bürger und Presse wurden in die abgeriegelte Zone eingelassen.
»Der 1-Euro-Laden am Ludwig-Rosenberg-Ring« hat heute das Geschäft seines Lebens gemacht!«, grinste eine Gegendemonstrantin und blies, wie viele mit ihr, weiter heftig in ihre rote Plastiktrillerpfeife. Zum ohrenbetäubenden Lärm trugen außerdem Tröten, Rätschen, Töpfe, Trommeln und vor allem die Sprechchöre wie »Nazis raus« bei. An die 200 aufrechte Bürger stellten sich gestern in Bergedorf-Lohbrügge dem grotesken Auftritt von einer Handvoll NPDlern und deren Anhang entgegen und übertönten fast permanent, was die Faschisten per Lautsprecher unter die Leute bringen wollten.

200 Polizeikräfte waren, wie schon zuvor zwischen Hauptbahnhof und Kunsthalle, aufgefahren worden, wie ein Polizeisprecher auf Nachfrage mitteilte. Die Zahl der diversen Fahrzeuge war ebenfalls immens; vor der Bergedorfer Feuerwache parkten zwei Wasserwerfer. Die tatsächliche Zahl der Gegendemonstranten war schwer zu zählen, sie wird vom Sprecher der Alsterdorfer Einsatzleitung mit »ca. 100« angegeben, die Bergedorfer Zeitung spricht von »etwa 130 Bergedorfern«. Tatsächlich standen an den verschiedenen Punkten am Lohbrügger Markt und in der Alten Holstenstraße jeweils 60 bis über 100 Menschen vor den aufgereihten Polizisten, mit denen der Auftrittsort der Faschisten am oberen Ende der Fußgängerzone weiträumig von allen Seiten abgeriegelt war. Nicht wenige Gegendemonstranten waren von der vorausgehenden Gegendemo in Hamburg nach Bergedorf gekommen, um das lokale Aufgebot zu unterstützen.

Menschen, die in den abgeriegelten Bereich wollten, um z.B. in die Tagesklinik zu gelangen, in eines der Geschäfte dort zu gehen oder die den Bereich einfach queren wollten, wurden »nach Augenschein« selektiert. Wenn die behelmten und mit Schienbeinschutz und Stiefeln ausgerüsteten Polizisten auch nur im Geringsten an ihrer Friedlichkeit und Harmlosigkeit zweifelten, wurde diesen Menschen der Zutritt verwehrt. »Harmlos« aussehende Mitbürger, Senioren, Mütter mit Kinderwagen und Menschen im Business-Outfit wurden dagegen ohne weiteres Ansehen durchgelassen.

Zwei Stunden dauerte die unerwünschte Beschallung durch die NPD, etwas länger die Sperrung des Platzes für die Öffentlichkeit. Läden und Dienstleister innerhalb der gesperrten Zone mussten in der Zeit auf Kunden und Umsatz verzichten; eine Entschädigung erhielten sie »natürlich nicht«, wie eine Ladeninhaberin mit säuerlichem Lächeln kundtat. Die Kosten für den Polizeieinsatz trägt nach dem geltenden Versammlungsrecht der Steuerzahler; auf welche Summe die sich belaufen, konnte der befragte Polizeisprecher nicht beziffern.

Von seiten der antifaschistischen Bürgerinnen und Bürger verlief die Demo friedlich; einen kleinen Tumult ohne weitere Blessuren gab es, als rund ein Dutzend Menschen mittendrin aus dem Hallo-Pizza-Laden auf den Platz strömten und sofort von der Polizei in den Harderskamp abgedrängt wurden. Viele Gespräche liefen zwischen Gegendemonstranten und Polizisten ab. Warum die Nazis überhaupt hier auftreten dürfen, fragte einer einen blau Uniformierten. »Wir haben das Recht auf freie Meinungsäußerung« war die Antwort. »Freiheit endet da, wo die Freiheit anderer anfängt.«, sprach ein älterer Herr aus Bergedorf und wurde nicht müde, mit Rufen und Pfeifen seinen Widerspruch kundzutun. »Warum nicht einfach ignorieren, diese Ewiggestrigen?«, fragte ein Passant und kritisierte die Gegendemonstranten dafür, dass sie den Nazis überhaupt Aufmerksamkeit schenken. »Das mit dem Ignorieren hatten wir schon mal, von 1923 bis 1933...«, war die ernüchternde Antwort, die den Kritiker dann auch gleich überzeugte.

Rollstuhlfahrer, Polizeibarriere
Stundenlang war kein Durchkommen am Lohbrügger Markt/Alte Holstenstraße. Rollstuhlfahrer mussten allerdings keine Umwege machen, ihnen wurde der Weg frei gemacht.


NACHTRAG 2012/07/19: Der NDR hat einen guten Hintergrundartikel dazu, in dem er zusammenfassend Anetta Kahane (Vors. Antonio-Amadeu-Stiftung) zitiert:
»Wir sollten das Ganze nicht unterschätzen. Lächerlich ist nur das, was wir sehen - das Gefährliche ist nicht ohne Weiteres zu erkennen.«


Mein Kommentar:
Ganz wie damals: Genau wie die SA waren diese Typen gestern die Frontsoldaten, die mit ihren dumpfen, populistischen Parolen die Bauernfängerei betreiben (wollen); die SS würde man heute wohl einen Thinktank nennen, dem die intelligenteren Hintermänner und -frauen angehören, die ganz genau wissen, mit welcher Taktik man die zunehmende Unzufriedenheit einer durch Agenda-2010 und neoliberale Globalisierungspolitik beschädigten Bevölkerung in Nationalwahn und Xenophobie umlenken könnte. Der Krach, der dem Lumpenpack in Bergedorf, Hamburg, Lüneburg, Bremen, Rostock... und am kommenden Freitag in Münster sowie den restlichen Stationen ihrer »Deutschlandfahrt« und für den Rest der Tage entgegendröhnte/dröhnen wird, bedeutet hoffentlich, dass sich die Geschichte niemals wiederholt!

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