Hamburg, heimliche Windhauptstadt

Altes Rathaus Hamburg, Patriotische Gesellschaft, BI-W-Ag-Demo
Demo betroffener Anwohner vor dem Windkraft-Event des BWE in Hamburg
Zum Parlamentarischen Abend »Windenergie in Hamburg« hatte der BWE-Landes- und Regionalverband Hamburg am vergangenen Montag ins Haus der Patriotischen Gesellschaft eingeladen. Zahlreiche Vertreter aus Bevölkerung, Politik und Industrie, darunter auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, hatten sich eingefunden. Nicht alle von ihnen standen auf der Gästeliste, aber sie standen sehr prominent auf dem Gehweg vor dem Gebäude: Ca. 30 Vertreter der Bürgerinitiativen aus dem Bergedorfer Landgebiet, wo ein Gutteil der neu zu installierenden Windleistung stehen soll, taten hier ihre Haltung kund: »Windkraft ja bitte, aber Repowering mit Augenmaß in den Vier- und Marschlanden«. Hier fanden die ersten Gespräche mit Politik- und Industrievertretern statt und hier wurden dem ankommenden Bürgermeister, so steht es auch in der Bergedorfer Zeitung zu lesen, 1.649 Unterschriften gegen die geplanten hohen Windkraftanlagen in diesem Außengebiet überreicht.

Nach Häppchen und informellen Gesprächen auch im Innern des Gebäudes hörten die 120 Gäste dann eine Reihe von höchst informativen Vorträgen, die vieles deutlich zeigten, vor allem aber eines: Die mit dem scheußlichen Wort »Energiewende« bezeichnete, dringend nötige Weiterentwicklung der Energieerzeugung, weg von Atom und Kohle, hin zu intelligenten, neuen Produktionsformen ist ein globales Projekt nie dagewesener Größenordnung und Hamburg bzw. Deutschland ist auf einem guten Weg, dabei eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Und mit den Vorträgen von Jens Heidorn und Dr. Ole Augustin kam auch zu seinem Recht, was die Menschen vor Ort interessiert: Der Stand des Windkraftausbaus vor Ort in Hamburg.

Erster Redner war der Erste Bürgermeister. In seiner knapp 20-minütigen Rede bewies er große Sachkenntnis und auch den politischen Willen, dass Hamburg sich auch selbst am Ausbau der installierten Leistung beteiligen müsse. »Der Ausbau der Windenergie ist erklärtes Ziel des Senats. Man soll mit gutem Beispiel vorangehen: Die derzeit 52 installierten Megawatt wollen wir auf deutlich mehr als 100 steigern, mit Neubau und Repowering im Außengebiet und im Hafen. Im Hafen sind geeignete Flächen identifiziert und der Bau von Windkraftanlagen kann schon heute nach festgelegten Verfahren an geeigneten Standorten beantragt werden. Das Verfahren zur Darstellung erweiterter«, und hier versprach sich der Bürgermeister offensichtlich, »Enteignungsgebiete für Windenergie in Flächennutzungsplan und Landschaftsprogramm läuft. Davon, dass das vernünftig ist, muss man gelegentlich den einen oder anderen noch überzeugen.« Diesen Gedanken nicht weiter ausführend, ging der Bürgermeister auch nicht weiter auf die Anliegen der Anwohner ein und beschäftigte sich staatsmännisch mit größeren, bundesweiten, wirtschafts- und finanzpolitischen Aspekten.

Der Präsident des Bundesverband für Windenergie (BWE), Hermann Albers, gab einen interessanten Einblick in nationale und internationale Energiepolitik und -wirtschaft. Sehr irritiert zeigte sich Albers über die Launen des Wirtschaftsministers Rösler, dem er EEG-Harakiri vorwarf. Er forderte eine Chancen- statt einer Risiko- und Kostendiskussion und machte am Beispiel der umlagebefreiten energieintensiven Industrie deutlich, was er damit meinte. Diese Energie-Großverbraucher seien derzeit sogar dreifach bevorteilt: Erstens von der Umlage befreit, zweitens (was diese Unternehmen gern verschweigen), durch den sog. merit order-Effekt, durch den sie den Strom aus erneuerbaren Quellen um 2 Cent billiger als noch vor 2, 3 Jahren an der Strombörse einkaufen, und drittens, gerade bei der Stahlindustrie, sie in der Erneuerbaren-Industrie den größten Abnehmer ihrer Produkte haben. Albers forderte kein neues EEG vor der nächsten Bundestagswahl und hielt mit seiner Kritik an Schwarz-Gelb kein bisschen hinter dem Berg: »Ich habe fast das Gefühl, wir haben ein wenig Gelbfieber, und ich hoffe nur, dass daraus nicht auch noch Schwarzmalerei wird.« (Um das Märchen von zu hohen Strompreise zu verstehen, sei die Lektüre der Studie des Harms-Gutachtens im Auftrag der Grünen im Bundestag [PDF] empfohlen.)

Zurück nach Hamburg holte Joerg Hempel, Managing Director der Nordex Energy GmbH mit Sitz in Hamburg seit 2001, die Zuhörer. »Mit 0,2 % der in Deutschland installierten Windleistung ist Hamburg nicht wirklich ein Schwergewicht - wie auch, als Stadtstaat. Hamburg hat einen ganz anderen Ansatz zum Thema, das ist die Ansiedlung vieler Hersteller und Zulieferer der Windkraftindustrie, auch im Offshore-Bereich. Damit ist Hamburg wohl die heimliche Windhauptstadt.« An Albers anknüpfend hofft er, dass vor der Energiewende eine Geisteswende steht und erntet dafür Zwischenapplaus.

Der Impulsvortrag von Dr. Michael Beckereit, Geschäftsführer von HamburgEnergie, mit dem Titel »Energiewende, Herausforderungen für Hamburg« stellte nicht nur die Herausforderungen, hier vor allem auch die Speicherung der gewonenen erneuerbaren Energie, dar, sondern auch ganz konkrete Ansätze, die zurzeit experimentell erforscht bzw. geplant werden. Es wäre dem Vortrag, der einen eigenen Artikel brauchte, nicht würdig, ihn hier in drei Zeilen zusammen zu fassen.

Jens Heidorn beim Vortrag
Jens Heidorn kritisierte Falschdarstellung von Fakten durch die Bürgerinitiative Altengamme.
Dr. Ole Augustin beim Vortrag
Dr. Ole Augustin: »Der Ausbau der Windenergie in der Stadt Hamburg wurde in den letzten 10 Jahren fast ausschließlich im Hafengebiet durchgeführt.«
Vor dem abschließenden, mitreißenden und frei gehaltenen, sehr eloquenten Beitrag von Jörg Kuhbier, ex-Senator, ex-SPD-Landesführer etc. und jetzt Vorstandsvorsitzender der Stiftung Offshore Windenergie über die massiven technischen und finanziellen Probleme eben der Offshore-Anbindung (»hier müssen wir die Bürger am Haftungsrisiko beteiligen«) legten Jens Heidorn und Dr. Ole Augustin den Stand der Entwicklung beim Hamburger Ausbau der Windenergie in den Außengebieten und im Hafen dar. Insidern ist der Stand der Dinge bekannt bzw. sie lernen ihn grade mittels der seit letzten Montag ausliegenden Dokumente - Änderung des Flächennutzungsplans und Landschaftsprogramm Hamburg sowie die zahlreichen Gutachten und fachlichen Stellungnahmen dazu. Die Präsentation [PDF] von Heidorn und Augustin kann hier abgerufen werden. Beide Planer bericheten von diversen Hemmnissen; Augustin bedauerte die technischen Einschränkungen im High Tech-Gebiet des Hafens, die nur wenige Stellflächen für neue Anlagen erlaubten, und Heidorn fand es schade, dass die Bürgerinitiativen fortgesetzt nicht in Dialog mit den Planern treten wollen. Er bedauerte unter anderem die teils unsachliche Argumentation der Bürgerinitiativen, die auch mit falschen Fakten operierten. Es wurde aber auch erwähnt, dass die Bürgerinitiativen zugesagt hätten, dies zukünftig nicht mehr zu tun und bspw. nicht mehr zu behaupten, Anlagen würden bis zu 300 Meter dicht an Wohnbebauung heran gebaut, weil dies nicht der Wahrheit entspricht.


TV-Tipp für Mittwoch, den 12.09.2012:
RTL, 18 - 18:30 Uhr
Explosiv - Das Magazin
zum Windenergie-Ausbau in Hamburg

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