Fracking: Bis zu 9 Prozent des Klimakillers Methan verfliegen unkontrolliert

Tor zur Hölle, Turkmenistan
Das »Tor zur Hölle« bei Derzewe, Turkmenistan, entstand durch einen bergbaulichen Fehler vor 41 Jahren. Der massive Methanaustritt ist nicht zu stoppen und kann nur durch Abfackeln »unschädlicher« gemacht werden.
Foto: flydime/wikimedia
Drei umweltbezogene Problemkomplexe sind untrennbar mit der in Industriekreisen populären Fracking-Technologie verbunden: Mögliche Verseuchung des Grund- bzw. Trinkwassers neben genereller Umweltverschmutzung durch austretendes Frac-Fluid bzw. Lagerstättenwasser, mögliche Auslösung von Erdbeben unterschiedlicher Größenordnungen und unnatürlich hohe Mengen an ungebremst in die Atmosphäre austretenden Methans. Methan ist etwa 25 mal schädlicher für das Erdklima als das gefürchtete CO2 und schmälert die Klimabilanz von Erdgas als Brennstoff beträchtlich. Der angenommene Klimavorteil von Erdgas ist hinfällig, wenn der Methanverlust bei der Förderung nicht massiv eingeschränkt werden kann.

Allein die hohe Klimagefährdung durch flüchtiges Methan drängt zu der Frage: Ist die Erdgasförderung eine Brücke nach Nirgendwo? Die NOAA, eine US-amerikanische Umweltbehörde, hat unlängst Leckageraten von bis zu 9 Prozent auf Erdgas-Förderfeldern festgestellt. Das ist mindestens doppelt soviel wie von der Frack-Industrie und ihren Helferlein in der Politik zugegeben. Joe Romm, promovierter Physiker, hat ausgehend von dieser schockierenden Nachricht einschlägige jüngere Studien zu Methan-Leckageraten auf Erdgasförderfeldern ausgewertet und blogt auf Thinkprogress.org, was er fand. Volker Fritz vom AK Fracking Braunschweig Land hat die erste Übersetzung aus dem Englischen besorgt. Hier ist der Text...

Forscher der [US-amerikanischen] Nationalen Behörde für Meeres- und Atmosphärenforschung (NOAA) haben frühere Ergebnisse hoher Methan-Leckageraten auf Gas-Förderfeldern erneut bestätigt. Sollten diese hohen Werte auch anderswo nachgewiesen werden, würde der Klimavorteil von Erdgas durch die großen Mengen entweichenden Methans in die Atmosphäre völlig zunichte gemacht, selbst dann, wenn dieses Erdgas die Kohle ersetzen würde.

In der Tat, wenn die früheren Messungen mit 4 Prozent Leckage oberhalb eines Gasfeldes in Colorado schon wie eine Bombe einschlugen, dann sind die neuen Messungen, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht worden sind, eine Atombombe:

… das Forscherteam berichtete von neuen Daten aus Colorado, die die früheren Untersuchungen bestätigten, sowie über erste Ergebnisse der Untersuchung eines weiteren Gasfeldes im Uinta-Becken in Utah, die auf noch höhere Methan Leckageraten hinweisen – unglaubliche 9 Prozent der Gesamtproduktion. Dieser Wert ist fast doppelt so hoch wie die Schätzungen der Gasindustrie zu kumulierten Verlusten, die in Utah schon höher angegeben werden als in Colorado.


Das Uinta-Becken ist deshalb besonders interessant, weil die Anwendung von Fracking dort in den letzten 10 Jahren zugenommen(3) hat.

Wie viel Methan während des gesamten Förder- und Verteilungsprozesses von „unkonventionellem Gas“ in die Atmosphäre entweicht, hat sich mittlerweile als eine der Schlüsselfragen in der Fracking-Debatte herausgestellt. Erdgas besteht überwiegend aus Methan (CH4). Und Methan ist ein weitaus stärkeres Treibhausgas als CO2, das bei jeder Kohlenwasserstoff-Verbrennung anfällt – 25-mal schädlicher über einen Zeitraum von 100 Jahren und 72- bis 100-mal schädlicher über einen Zeitraum von 20 Jahren.

Auch schon ohne die hohe Leckage-Rate für Schiefergas wissen wir, dass mit Erdgas keine wirkliche Verhinderung der globalen Klimaerwärmung möglich ist, dass Erdgas eine Brücke nach Nirgendwo ist. Das zeigte als erste die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem großen Bericht über Erdgas im Juni 2011 – siehe IEA-Bericht „Szenario für ein Goldendes Gaszeitalter führt zu mehr als 6 °F Erderwärmung und unkontrollierbarem Klimawandel“. Jene Studie, in der der höchste Verbrauch von sowohl Kohle als auch Öl im Jahr 2020 angenommen wurde, machte glasklar, dass wir, wenn wir eine katastrophale Klimaerwärmung abwenden wollen, müssen wir anfangen, uns von allen fossilen Brennstoffen zu verabschieden.

Eine Studie des Klimatologen Ken Caldeira und des Technik-Gurus Nathan Myhrvold vom März 2012 kam zu einer ähnlichen Schlussfolgerung, obwohl mit einer anderen Methodik herangegangen wurde (siehe: “Man kann die erwartete Erdewärmung nicht durch den Einsatz von Erdgas verlangsamen, es wird der schnelle und massive Einsatz von Null-Kohlenstoff-Energien benötigt“ ). Sie fanden heraus, dass selbst dann, wenn man innerhalb von 4 Jahrzehnten völlig auf Erdgas umschalten könnte,man für einen Zeitraum von bis zu 250 Jahren keine substantielle Absenkung der globalen Temperatur erhalten würde. Der Umstieg auf Erdgas hat so gut wie keinen klimatischen Vorteil.“. Und dabei waren sie von üblichen (d.h. niedrigen) Leckraten ausgegangen.

Aber die Leckage-Rate ist durchaus wichtig. Eine große Studie(9) von 2011 von Tom Wigley vom US-amerikanischen Nationalen Zentrum für Atmosphären-Forschung (NCAR) kam zu der Bewertung:

Das wichtigste Ergebnis jedoch ist, in Übereinstimmung mit den vorerwähnten Autoren, dass, außer wenn die Leckage-Rate bei neuen Methanförderungen unter 2 Prozent gehalten werden kann, das Ersetzen von Kohle durch Erdgas kein geeignetes Mittel zur Verringerung des Ausmaßes des künftigen Klimawandels ist.


Wigley, das muss hier erwähnt werden, betrachtete die kombinierte Erwärmungswirkung von den drei Faktoren: Methan-Leckage, CO2-Emissionen beim Betrieb von Gaskraftwerken und die Verringerung der Sulfat-Aerosolausstoßes durch Umstellung von Kohle auf Gas. In einem Land wie den USA, wo der Ausstoß von Sulfat-Aerosolen streng begrenzt ist, ist dieser dritte Faktor möglicherweise viel kleiner. Natürlich würde das in Ländern wie China und Indien eine viel größere Bedeutung haben.

Eine weitere Studie vom April 2012 kam zu dem Schluss, dass ein weitreichender Wechsel von Kohle zu Gas das „technische Erwärmungspotential“ während der ersten drei Dekaden nur um etwa 25 Prozent senken würde – ganz anders als die typische, offizielle Aussage, dass ein Wechsel den CO2-Ausstoß um 50 Prozent verringere. Und das beruht auf der Grundlage einer Gesamtleckage von 2,4 Prozent (unter Verwendung der neuesten EPA-Schätzung). Die Studie ergab, dass in dem Fall, in dem die Gesamt-Leckagerate 3,2 Prozent übersteigt, „Gas zumindest für eine gewisse Zeitspanne schädlicher für das Klima ist als Kohle.“

Leckageraten von 4 Prozent, von 9 Prozent erst gar nicht zu sprechen, würden den Wert von „unkonventionellem Erdgas“ als irgendeine Art von „Brückenbrennstoff“ in Frage stellen. Colm Sweeney, der Chef des Flugzeugprogramms im Labor der NOAA zur Erforschung des Systems Erde, der den luftbezogenen Teil der Studie leitete, erklärte gegenüber dem Magazin NATURE:
„Wir hatten erwartet, hohe Methangehalte zu sehen. Aber ich denke nicht, dass irgendwer die wahre Bedeutung dessen verstand, was wir sehen sollten“.


Die Industrie hat die meisten Daten zu Leckageraten geheim gehalten, während sie gleichzeitig das Leckageproblem herunterspielte. Die US-amerikanische Umweltstiftung EDF (Environmental Defense Fund) arbeitet mit der Industrie zusammen, um glaubwürdige Leckageraten für eine Reihe unterschiedlicher Orte zu ermitteln.

Frühere Untersuchungen der NOAA zu Leckagen wurden von Michael Levi des US-amerikanischen Rat für auswärtige Beziehungen CFR (Council on Foreign Relations) in Frage gestellt. Anmerkung von NATURE dazu: „die Verfasser der NOAA-Studie haben eine Verteidigung der Colorado-Studie in Druck gegeben“.

Aus heutiger Sicht muss „Fracking“ als Brücke nach Nirgendwo bezeichnet werden.

Originalpublikation: Bridge To Nowhere? NOAA Confirms High Methane Leakage Rate Up To 9 % From Gas Fields, Gutting Climate Benefit. By Joe Romm on Jan 2, 2013 at 4:56 pm

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