Herrn Suzukis Bericht vom Wiederaufbau Onagawas

Grußbotschaften an die Toten beim kleinen Sommerfest in Onagawa
Das Leben geht weiter. Grußbotschaften an die Toten beim kleinen Sommerfest in Onagawa
Ein halbes Jahr nach der katastrophalen Zerstörung der japanischen Ostküste ist noch lange keine Normalität ins Leben der Bewohner zurückgekehrt. Diejenigen, die nicht dem Beben und dem nachfolgenden Tsunami zum Opfer fielen und die nicht abgewandert sind oder abwandern mussten, setzen jetzt alles daran, das Land wieder aufzubauen. So auch in Onagawa, Präfektur Miyagi, wo die Naturkatastrophe große Teile der Stadt dem Erdboden gleich gemacht und einen Großteil des Hafens hat verschwinden lassen. Über die nukleare Bedrohung durch die havarierten Reaktoren im ca. 120 km entfernten Fukushima denkt hier niemand ernsthaft nach. Radioaktivität scheint hier kein nennenswertes Problem darzustellen, Onagawa liegt Messungen zu Folge in einer kaum strahlenbelasteten Enklave

Hidefumi Suzuki, ein Sohn der Stadt Onagawa und seit langem Einwohner von Börnsen, hat unmittelbar nach der Katastrophe am 11. März zusammen mit seiner Frau Ingeborg Paetow eine Spendeninitiative für die Bewohner des verwüsteten Städtchens ins Leben gerufen (wir berichteten). Über 40.000 Euro haben die beiden schon gesammelt und an die Bürgerinitiative in Onagawa überwiesen, die sich am Wiederaufbau beteiligt. Kürzlich hat Herr Suzuki seine Heimatstadt besucht und sich mit eigenen Augen überzeugt, welche Fortschritte durch die Spenden ermöglicht wurden. Hier sein Bericht:

Liebe Spenderinnen und Spender,

Ruinen des Hafens von Onagawa --(C) Hidefumi Suzuki
Große Teile von Onagawas Hafen existieren nicht mehr. Einige Küstenareale liegen jetzt unter Wassser. --(C) Hidefumi Suzuki
ich habe gut drei Wochen in meiner Heimatstadt Onagawa verbracht. In den ersten zwei Wochen bin ich fast jeden Tag zu Fuß durch die am 11.03.2011 vom Tsunami zerstörte Stadt gelaufen. Ich habe die Ruinen des Stadtgebietes mit eigenen Augen gesehen und die Atmosphäre der Zerstörung mit eigenem Leib gefühlt. Die Trümmer sind bisher erst teilweise beseitigt.

Während der laufenden Aufräumarbeiten werden fast täglich Leichen von Vermissten gefunden. Ich schätze, diese Arbeiten werden mindestens noch bis zum Jahresende andauern. In den Ruinen der Stadt gibt es keine Passanten, weil es dort außer Trümmern und Fundamentreste nichts mehr gibt. Lediglich Bauarbeiter, die die Trümmer beseitigen, halten sich in diesem zerstörten Teil von Onagawa auf. Ich war der einzige Mensch, der hier zu Fuß unterwegs war. Die noch in Onagawa lebenden Menschen sind allein schon wegen der Entfernungen ausschließlich im Auto unterwegs.

Aktuell zur Verfügung stehende Zahlen sind: 396 Tote, 431 Vermisste (Stand 10.06.). 325 Menschen wohnen immer noch in 9 Notlagern (Stand: 19.08.).

Übergangshäuser in Onagawa --(C) Hidefumi Suzuki
Übergangshäuser in Onagawa --(C) Hidefumi Suzuki
Die Stadtverwaltung plant, alle Notlager Mitte Oktober zu schließen, da die letzten Übergangshäuser in der zweiten Dekade Oktober fertig gestellt sein sollen. Zu diesem Zeitpunkt werden alle Bewerber einen Schlüssel für ein Übergangshaus bekommen haben, deren Kaltmiete für zwei Jahre kostenlos ist.

70 % der Häuser von Onagawa sind durch den Tsunami vollständig zerstört. Von den ursprünglich ca. 10 Tausend Ortsansässigen haben bisher schätzungsweise mehr als 4.000 Einwohner zeitweilig oder endgültig die Stadt verlassen. Im Moment sollen noch zwischen 4.000 und 5.000 Personen in Onagawa leben. Kurzum: Die Einwohnerzahl in Onagawa hat sich halbiert.

Die Arbeitslosigkeit in der Stadt ist seit dem Tsunami extrem gestiegen, da die Industrie bis auf wenige Ausnahmen vollständig zerstört wurde. Ich vermute (es gibt noch keine Statistik), dass sie über 50% beträgt. Die Menschen, die in Onagawa bleiben, haben zu Recht Zukunftsangst.

Maneki Neko, die japanische Glückskatze, auf einem Mauerrest --(C) Hidefumi Suzuki
Maneki Neko, die japanische Glückskatze, auf einem Mauerrest --(C) Hidefumi Suzuki
Ich habe mit dem Vorstand der Bürgerinitiative zum Wiederaufbau der Stadt Onagawa „FRK“, mit Beamten der Stadtverwaltung und ehemaligen Klassenkameraden gesprochen, und alle haben die gleiche Meinung vertreten. Die Allgemeinheit kann höchstens 3 Jahre darauf warten, dass in der Stadt irgendwelche Perspektiven erkennbar sind. Nach dem offiziellen Wiederaufbauplan wird die Stadt allerdings erst in 8 Jahren wieder hergestellt sein.

Es geht hauptsächlich um Arbeitsplätze, die dringend (d. h. spätestens innerhalb von zwei
Jahren) geschaffen werden müssen. Ohne Arbeitsmöglichkeiten werden diejenigen, die vorübergehend Onagawa verlassen haben, nicht zurückkehren. Und die Bewohner, die zurzeit noch geblieben sind, werden ebenfalls die Stadt verlassen.

Die einzige praktikable Alternative besteht darin (darin waren wir uns alle einig), eine Art Genossenschaft für die Fischverarbeitungsindustrie, die vor dem Tsunami neben dem AKW der größte Arbeitgeberzweig war, zu gründen, und mit entweder zinslosen oder sehr günstigen Darlehen zu versorgen. Nur so könnten relativ schnell wieder genügend Arbeitsplätze entstehen. Ob diese Strategie tatsächlich aufgeht, weiß im Moment leider niemand.

UKW-Notsender in Onagawa --(C) Hidefumi Suzuki
UKW-Notsender in Onagawa --(C) Hidefumi Suzuki
Es gibt aber auch gute Nachrichten. Die FRK hat, wie berichtet, im Juli ein Containergeschäftsdorf aus 7 Geschäften und 2 Kneipen auf die Beine gestellt. Das Hafenfest, was normalerweise Ende Juli das größte Fest in der Stadt ist, musste abgesagt werden. Stattdessen hat die FRK am 15.08. ein Sonder-Stadtsommerfest als kleinen Ersatz für das früher übliche Hafenfest organisiert.

Außerdem plant die FRK, in den nächsten Monaten auf dem Gelände der Oberschule eine Einkaufsstraße aus Containern und Fertighäusern mit ca. 35 Geschäften (inklusive Banken und Restaurants) zu bauen. Darüber hinaus wird die FRK im Herbst ein Teehaus auf dem Gelände des Stadtkrankenhauses errichten, wo (nicht nur) die Senioren vor und nach dem wöchentlichen Krankenhausbesuch miteinander plaudern können. Durch dieses Begegnungshaus sollen die Menschen in Onagawa vor der Vereinsamung in den Übergangshäusern geschützt werden.

Die Finanzierung für die anstehenden Maßnahmen steht. Nicht nur Ihre Spenden in Höhe von etwas über 40.000 Euro, die wir weitergeleitet haben, stehen zur Verfügung. Die Hauptniederlassung der Heilsarmee in London hat der FRK eine erhebliche Summe zur Fortsetzung ihrer Arbeit zugesagt, so dass diese zwei neuen Projekte dann ebenfalls finanziert werden können.

Soweit mein Bericht über das derzeitige Leben in meiner Heimatstadt. Wir hatten Sie u.a. mit dem Satz »Ihre Spende macht Mut« um Hilfe gebeten. Nach dem, was ich vor Ort gesehen und erlebt habe, hat sie wirklich Mut zum Neuanfang bewirkt. Deshalb noch einmal vielen Dank für Ihr Engagement.

Mobile Poststation in Onagawa (C) Hidefumi Suzuki
Mobile Poststation in Onagawa (C) Hidefumi Suzuki
Mit lieben Grüßen
Ihr
Hidefumi Suzuki
Börnsen, im September 2011

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Es kann weiterhin gespendet werden:
Konto Nr. 1397 905 116 bei der Hamburger Sparkasse (BLZ 200 505 50)
Konto-Inhaber Suzuki/Paetow
Verwendungszweck "Spende Onagawa"

¹ Quelle: Yukio Hayakawa's Volcano Blog

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