Gutachten: Hat eine Zombie-Bergbaubehörde im Norden gewirkt? [UPDATE]

Durfte wohl noch nie Bergbauberechtigungen in S-H erteilen: Das LBEG im Geozentrum Hannover (Foto: Gerd Fahrenhorst)
Durfte wohl noch nie Bergbauberechtigungen in S-H erteilen: Das LBEG im Geozentrum Hannover (Foto: Gerd Fahrenhorst)
Ein guter Tag für Fracking-Gegner: Erlaubnisse und Bewilligungen für den Bergbau in Schleswig-Holstein, die seit 2006 vom Landesbergamt in Hannover/Clausthal-Zellerfeld erteilt wurden, sind möglicherweise rechtswidrig zu Stande gekommen. Dies hat das Gutachten »Oberbergamt für das Land Schleswig-Holstein« [PDF] des Wissenschaftlichen Dienstes des schleswig-holsteinischen Landestages (WiDi) herausgestellt. Zuständig nach aktueller Verordnungslage sei nicht das LBEG, sondern eine Behörde, die seit 2006 nicht mehr existiert.

Im Sommer hatten die Piraten im Kieler Landtag das Rechtsgutachten beim WiDi beauftragt. Dieser hat sich ausführlich juristisch mit der Frage beschäftigt, ob das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) kompetent ist, für das Land Schleswig-Holstein hoheitliche Entscheidungen zu treffen, und kommt zu dem Schluss:

Nach dem Wortlaut der einschlägigen Zuständigkeitsnorm ist daher fraglich, ob das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie zuständiges Oberbergamt für Schleswig-Holstein geworden und damit zur Bearbeitung der bergrechtlichen Verfahren nach § 10 BBergG (Erteilung bergrechtlicher Erlaubnis und Bewilligung) wirksam berufen ist.


Die Piraten im Landtag, bekanntlich Fracking-Gegner, sind höchst zufrieden mit dieser Aussage: »Das ist ein Riesenerfolg für unseren Kampf gegen das wasser- und gesundheitsgefährdende Fracking«, freuen sich die Abgeordneten der Piraten Angelika Beer und Patrick Breyer über das Ergebnis. »Die Landesregierung muss jetzt ernsthaft prüfen, ob über unsere natürlichen Ressourcen und ihre Ausbeutung nicht in Schleswig-Holstein selbst entschieden werden muss. Wir Piraten fordern außerdem eine öffentliche Bekanntgabe aller Vorhaben und ein Recht der betroffenen Kreise und Bürger auf Widerspruch gegen die riskante Rohstoffförderung auf ihrem Gebiet. Im Zeitalter der Energiewende brauchen wir keine klima- und umweltschädliche Erschließung neuer fossiler Energieträger. Das ist Gift für unser Klima und für unsere Umwelt.«

Auf gut einem Fünftel der Landesfläche Schleswig-Holsteins [PDF] ist inzwischen erlaubt worden, nach Öl und Gas zu suchen, und auf mehreren Gebieten auch, gefundenes Öl und Gas zu fördern -- Fracking nicht sicher ausgeschlossen. Allein in diesem Jahr hat das LBEG mindestens 8 Bergbauberechtigungen erteilt, möglicherweise durfte es das aber gar nicht.

Etwa 4 weitere Erlaubnis- bzw. Bewilligungsverfahren sind anhängig. Diese haben »Genehmigungsreife«, so Staatssekretärin Dr. Ingrid Nestle vor 2 Wochen in einem Schreiben an die Kommunen. Nach der Veröffentlichung des Rechtsgutachtens müssten diese Verfahren umgehend gestoppt werden. Das zuständige Umweltministerium war bislang für eine Stellungnahme zu der neuen Situation nicht erreichbar.

In Hamburg, wo die Frage nach der Zuständigkeit des LBEG für die Freie und Hansestadt bereits im Januar 2013 gestellt worden war, wird das neue Gutachten aus dem Norden begrüßt. Dort hat die örtliche Bürgerinitiative FrackingFreies Hamburg beharrlich über ihre Vertreter in der Bürgerschaft dem Senat entsprechende Fragen gestellt, nachdem die zuständige Hamburgische Bergbehörde die Frage zunächst als absurd zurückgewiesen hatte. Die Zuständigkeit des LBEG, die von der Bürgerinitiative angezweifelt wird, befindet sich in der Freien und Hansestadt noch in Klärung.

UPDATE 17:35 Uhr

Inzwischen liegt eine Stellungnahme der schleswig-holsteinischen Obersten Bergbehörde MELUR vor:

Statement des MELUR zum Fracking - Gutachten

Zur heute von den Piraten veröffentlichten Pressemittelung zum Fracking - Gutachten, sämtliche vom Landesbergbauamt (LBEG) erteilten Genehmigungen seien rechtswidrig, erklärte Energiewendeminister Robert Habeck: "Auch eine andere Behörde, wie immer sie heißen sollte, hätte genau so entscheiden müssen. Fracking muss politisch und nicht verwaltungstechnisch attackiert werden. Eine Schlupflochdiskussion über Behördenstrukturen hilft da nicht weiter. Was wir brauchen ist ein geändertes Bundesbergrecht. Die Initiative haben wir vor Monaten ergriffen - bisher ohne eine Mehrheit im Bundesrat zu finden. Da liegt der Hase im Pfeffer. Für Schleswig-Holstein werden wir über die Aufstellung von Zielen im Landesentwicklungsplan Fracking mit umwelttoxischen Stoffen für drei Jahre aus eigener Kraft verhindern, danach brauchen wir eine bundesgesetzliche Regelung. Die Auffassung des wissenschaftlichen Dienstes über die Rechtswidrigkeit der bisherigen Bescheide teilen wir nicht, weil nach unserer Auffassung das LBEG Rechtsnachfolger der früheren Bergbehörden ist. Ohnehin dürfen Bescheide des LBEG nur nach vorheriger Prüfung unseres Hauses erfolgen."

Hintergrund:
Die bestehende Zuständigkeitsregelung besteht bereits seit 1989. Das aktuelle Verwaltungsabkommen zwischen Niedersachsen und Schleswig-Holstein aus 2008, welches die Zusammenarbeit in diesem Bereich regelt, hat diese Zusammenarbeit letztmalig bestätigt.
Die Kritik an der bestehenden Zuständigkeitsverordnung ist nicht neu. Im Zuge der allgemeinen Rechtspflege seitens des MELUR ist ohnehin geplant, dass die Zuständigkeitsverordnung neu gefasst wird.
Für bereits abgeschlossene Verfahren hat das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes keine Folgen, da die Bescheide des LBEG bestandskräftig sind.


Ganz offensichtlich stellt sich das MELUR auf den Standpunkt, dass das Gutachten keinen Einfluss auf die Genehmigungspraxis -- durch welche Bergbehörde auch immer -- hat. Stattdessen wird der aufgedeckte Mangel heruntergespielt und Reparaturmaßnahmen angekündigt, als handele es sich um einen nicht weiter wichtigen Defekt. Im MELUR ist man sehr bemüht, von dem Eklat abzulenken, den das Gutachten ausgelöst hat, indem eine politische Lösung als Allheilmittel für -- gelinde gesagt -- schlampigen Umgang mit Recht und Gesetz beschworen wird.

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Walossi am :

Aus meiner Sicht gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten:
Entweder sind die Ausagen des Energiewendeministers Habeck eine verzweifelte
Flucht nach vorne oder ein Ausdruck der Unbekümmertheit eines Deppen.
Wenn der Minister mit dem Gedanken überfordert sein sollte, dass in einem
Rechtstaat das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gilt, dann sollte er von
seinem Posten rasch zurücktreten und zu seiner früheren Tätigkeit zurückkehren.
Dies allerdings nur in der Annahme, dass er dort nicht ähnlich dilettantisch
auftritt. Ansonsten müsste man eine andere Anschlussverwendung für ihn suchen.
Ich kann nur hoffen, dass sich die Gemeinden sowie BIen in SH zu einer klaren
und raschen Antwort aufraffen können.

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