BSU feiert 10 Jahre Sondervermögen

Renaturierter »Landschaftkorridor Allermöhe« war die Kulisse für die Geburtstagsfeier des »Sondervermögen für Naturschutz und Landschaftspflege«

Umweltsenatorin Jutta Blankau (2. v. l.) und Birgit Berthy, Volker Dinse und Wolfgang Prott von der BSU im Landschaftskorridor Allermöhe
Umweltsenatorin Jutta Blankau (2. v. l.) und Birgit Berthy, Volker Dinse und Wolfgang Prott von der BSU im Landschaftskorridor Allermöhe
Zum zehnjährigen Bestehen des »Sondervermögen für Naturschutz und Landschaftspflege« hatten Umweltsenatorin Jutta Blankau und Mitarbeiter der Behörde für Stadtplanung und Umwelt (BSU) die Presse eingeladen. Bei strahlendem Sonnenschein und gutem Wind informierten sie über das Sondervermögen, die damit finanzierten Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in die Natur und im Besonderen über den »Landschaftskorridor Allermöhe« als Beispiel für eine gelungene Ausgleichsmaßnahme. Nach der Information wurden die Fachgespräche bei Geburtstagskuchen -- auf Wunsch eines einzelnen BSU-Mitarbeiters »der beste Butterkuchen, den es gibt«, nämlich der von Bäcker Harden aus Altengamme -- und Apfelsaft von BSU-eigenen Streuobstwiesen (www.dasgeldhaengtandenbaeumen.de) fortgesetzt.

Der »Allermöher Landschaftskorridor« liegt nördlich der A25 und zwischen Allermöhe und dem Mittleren Landweg. Er ist im Osten Hamburgs der einzige verbliebene durchgehende Streifen Natur zwischen Geesthang und dem Marschland rechts der Elbe; hier können auch Tiere ohne Flügel umherwandern, ohne Straßen oder Wohngebiete zu durchqueren. Auf den Marschwiesen praktiziert die BSU diverse Renaturierungsmaßnahmen und auch Forschungsarbeiten, unter anderem bearbeitet sie hier eine jahrhundertealte Frage, nämlich wie der Duwock nachhaltig im Wachstum kontrolliert werden kann.

Spanisches Windrad »Tarrago Montblanc« zur Feldbewässerung
Mit Windkraft wird Wasser in das Gebiet der Ausgleichsmaßnahme hineingepumpt.
Am Windrad, einem von insgesamt dreien im Landschaftskorridor, berichtete Senatorin Blankau, was es mit dem Sondervermögen auf sich hat. Bauträger, die wegen Eingriffen in die Natur nicht unverzüglich einen Ausgleich schaffen, sind verpflichtet, Ersatzzahlungen zu leisten. Um dieses Geld sinnvoll zu nutzen, habe Hamburg vor 10 Jahren das »Sondervermögen« eingerichtet und Mitarbeiter zu dessen Verwaltung bzw. zur Umsetzung von Ausgleichsmaßnahmen eingesetzt, sagte Blankau, und: »Wachstum und Veränderungen in der Stadt bringen auch immer wieder Eingriffe in die Natur und Landschaft mit sich. Hier müssen wir für Ausgleich sorgen. Und dieser Ausgleich funktioniert seit 10 Jahren in Hamburg ausgezeichnet. Das Finanzvolumen des Sondervermögens betrug Ende 2011 knapp 50 Millionen Euro. Knapp 800 Hektar Fläche werden vom Sondervermögen derzeit bewirtschaftet. Knapp 500 Hektar Fläche sind angekauft, um Bau-Projekte auszugleichen. So kann trotz der zunehmenden Bebauung von Flächen gesichert werden, dass Hamburg auch in Zukunft als grüne Metropole an der Elbe erhalten bleibt.So kommt Hamburgs Natur zu ihrem Recht.«

BSU-Mitarbeiterin Birgit Berthy ging dann ins Detail: »90 Projekte konnten durch das »Sondervermögen Naturschutz und Landschaftspflege« in Hamburg umgesetzt oder begonnen werden. Eine der jüngsten Ausgleichsmaßnahmen für die Natur in Hamburg ist die Entwicklung von 72 Hektar Feuchtgrünland im Wilhelmsburger Osten. Dort entsteht ein 26 Kilometer langes Grabensystem, das die Interessen des Naturschutzes, der Landwirtschaft und des Wasserverbandes berücksichtigt. Die Maßnahme soll die Beeinträchtigungen in Folge der Projekte der IBA und igs, der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße und des Baus der A 26 ausgleichen.

Eine weitere, sehr erfolgreiche Ausgleichsmaßnahme umfasst den Billwerder Bahndamm. Seit 1930 wird die ehemalige Trasse zwischen Bergedorf und Rothenburgsort nicht mehr genutzt. Seitdem lag die zehn Hektar große Fläche weitgehend brach. Das Sondervermögen hat die Fläche Anfang 2011 erworben und dort ein Konzept für trockenheitsliebende Pflanzen und Tiere umgesetzt. So konnten hier beispielsweise die gefährdete Dunkelfransige Hosenbiene, der seltene Wiesenhafer und die Kartäuser-Nelke wieder eine Heimat finden. Die Maßnahme Billwerder Bahndamm gleicht damit Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes durch die Erschließung von Gewerbegebietsflächen in Allermöhe aus.

Volker Dinse mit einer Duwock-Pflanze
Volker Dinse mit einer Duwock-Pflanze
Mit einem Zählgitter wird der Pflanzenbestand ausgewertet.
Mit einem Zählgitter wird der Pflanzenbestand ausgewertet.
Als weitere, größere Ausgleichsmaßnahmen der vergangenen Jahre, so Berthy, wurden zum Beispiel realisiert: Ein großflächiges Feuchtgrünland mit Flachwasserzonen (sogenannte Blänken) auf 140 Hektar in Neuland östlich der Autobahn A1, das insbesondere für Wiesenvögel geschaffen wurde, mit einem Grabensystem, das für die dort vorkommenden Amphibien und Wasserpflanzen optimiert wurde; im Moorgürtel auf 100 Hektar blühende Wiesen für viele Insekten und Vögel, wie z. B. den Wachtelkönig, und neue Heideflächen, die auf 42 Hektar des ehemaligen Truppenübungsplatzes der Röttiger-Kaserne angelegt wurden und deren dauerhafter Bestand durch Heidepflege gesichert werden soll.

Ausgleichsmaßnahmen in Bearbeitung sind derzeit ein Projekt zur Anlage von hundert Teichen für Amphibien in ganz Hamburg, die Entwicklung von 57 ha Feuchtgrünland am Kiebitzbrack für Amphibien wie z. B. Moorfrosch und Knoblauchkröte und der Bau und Optimierung einer Fischtreppe an der Ammersbek.

Über den Duwock (niederdeutsch für Sumpfschachtelhalm, Equisetum palustre L.), der im Landschaftskorridor in Massen vorkommt, wusste Volker Dinse gut Bescheid. Diese Pflanzenart findet in den eingedeichten Marschen ideale Lebensbedingungen und stellt seit Jahrhunderten ein großes Problem für die Landwirtschaft dar. So schrieb im 19. Jahrhundert der Göttinger Botaniker Georg Friedrich Meyer in seiner Monographie über den Duwock:

Der Sumpf-Schachtelhalm, oder Duwock, gehört -- wie den Pflanzenkundigen von Fach bekannt ist -- keineswegs allein den Marschgegenden an. Er ist auf feuchtem und sumpfigem Boden durch das Innere der Länder bis in die Berggegenden verbreitet, und kommt, bei einer ihm zusagenden Bodenbeschaffenheit, selbst in den Gebirgen vor. Der feuchtere Zustand des thonreichen Marschbodens und die öftere Einwirkung des übertretenden und sich anhäufenden Wassers, welche die tiefer belegenen, flachen Gegenden der Flussniederungen und Küstenländer trifft, sind die ursachen der allgemeinen Verbreitung und des üppigen Wachsthums der Pflanze in diesen Landestheilen. Ihre Ansiedelung in diesen Gegenden fällt in eine frühe Zeit; in diejenige, in werlcher die Marschen eingedeicht wurden. Wo Wasser den Boden bedeckt, oder in regelmässiger Wiederkehr überstauet, wächst und gedeihet kein Sumpfschachtelhalm. Erst mit der theilweisen Eindeichung des aufgeschwemmten Bodens trat der Duwock hier auf, und in dieser überhaupt, wie im Besondern in einer zu frühen Eindeichung der dem Wasser abgewonnenen Grundstücke, liegt die Hauptursache der Überhandnahme, indem das damals noch nicht hoch genug über den Wasserspiegel angewachsenen Binnenland, unter fortwährender Erhöhung der Aussendeichsländerei, die vom Schlammabsatze der Flut ausgeht, gegen diese und gegen die endlich in ihren Betten beengten Ströme, deren Spiegel durch Auffüllung des Strombettes allmälig erhöhet wurde, zu niedrig zu liegen kam, wovon späterhin Wirkungslosigkeit der Wasserabführungsanstalten, Wasseranstauung auf den eingedeichten Ländern, und damit mehrere oder mindere Versumpfung des Bodens die Folge seyn musste.
(aus: Georg Friedrich Wilhelm Meyer, Die Natur der Schachtelhalme, insbesondere des Sumpf-Schachtelhalms oder Duwocks. Göttingen 1837)

Duwockschneider EXV3000
Duwockschneider EXV3000
Aufgrund seiner Inhaltsstoffe ist der Duwock schädlich für das Vieh, erklärte Dinse, er bringt den Milchfluss der Kühe zum Erliegen, macht die Tiere krank und kann sie in größeren Quantitäten auch töten, erzählte Dinse. Deshalb taugen Wiesen, auf denen Duwock steht, nicht als Weideflächen, und auch das Duwock-haltige Heu ist nicht zu gebrauchen, weil das Gift auch durch Trocknen nicht unschädlich wird. Bereits 1780 habe die Hamburgische Gesellschaft nach einer Lösung für dieses Problem gesucht, das eine große Einschränkung für die Landwirtschaft bedeutet. Der Duwock scheint unausrottbar, unterpflügen oder spritzen nützt nichts, weil die Pflanze bis zu 5 Metern tief wurzelt und immer wieder nachwächst.

In einem Feldversuch will die BSU jetzt herausfinden, ob konsequentes, wiederholtes Durchschneiden der Pflanzen unter der Oberfläche das Kraut in die Schranken weisen kann. Mit einem so genannten Duwockschneider (Video), einem Stahlmesser in V-Form, das etwa einen halben Meter unter der Oberfläche durchs Erdreich gezogen wird, werden die tiefwurzelnden Pflanzen durchtrennt. Der obere Pflanzenteil stirbt ab und stellt auf diese Weise zunächst keine Konkurrenz für Gräser und Kräuter dar. Zu gegebener Zeit wird die Prozedur wiederholt. Die Biologin, die im Auftrag der BSU mit ihrem Zählgitter die Erfolgsmessung durchführt, bestätigte beim Ortstermin, dass der Duwock-Bestand jetzt deutlich zurückgeht.

Der »Allermöher Landschaftskorridor« zeigt auf diese Weise gleich mehrere Ergebnisse: Vielleicht hat die jahrhundertelange Suche nach einem Mittel, dem Duwock zu Leibe zu rücken, endlich Erfolg. Weiterhin ist das Gebiet ein Labor für die Auswirkungen von höheren Wasserständen als im Umland, denn hier in diesem in sich geschlossenen Grabensystem wird, wie es auch in den Kirchwerder Elbwiesen geplant ist, ein ca. 1 Meter höherer Wasserstand gehalten, ohne dass im benachbarten Allermöhe oder am Mittleren Landweg die Keller volllaufen. Oder der Bauer auf dem Nachbarfeld mit seinem Trecker im Schlick versackt. Außerdem ist es gelungen, für selten gewordene Vogel-, Insekten- und Ampibienarten ein Rückzugsgebiet zu schaffen.

So bleibt zu hoffen, dass dieses renaturierte, vormals intensiv landwirtschaftlich genutzte Gebiet auch weiterhin der Natur vorbehalten bleibt und nicht, wie aktuell in Wilhelmsburg, zur Disposition für zivilisatorische Gelüste steht. Dort soll, wie das Abendblatt berichtet, im Naturschutzgebiet ein Lidl-Markt errichtet werden, sodass sich fragt, was das Prädikat »Naturschutzgebiet« eigentlich wert ist. Auch andere Projekte, die zwar nicht ins Ressort der BSU fallen, aber dennoch Natur und Umwelt beeinträchtigen, nahmen und nehmen zur Not keine Rücksicht auf bestehende Naturschutzgebiete. Zu nennen wären hier Maßnahmen wie die Fahrrinnenvertiefung der Elbe oder auch die seit über 10 Jahren unausgeglichene Naturzerstörung im Mühlenberger Loch durch den Bau der Airbus-Fabrik. Diese beiden Maßnahmen finden unter der Kuratel der Wirtschaftsbehörde statt, die rhetorisch bestens geübt ist, wenn es darum geht, das so genannte Gemeinwohl über den Naturschutz zu stellen.

Solange niemand Argumente findet, warum zwischen Allermöhe und dem Mittleren Landweg auch noch gebaut werden müsse, solange können die Käfer unbeschwert von Boberg bis nach Ochsenwerder und zurück krabbeln. Doch wenn das »Gemeinwohl« es erfordert, dann müssen sie umziehen, wie schon so viele vor ihnen. Soweit reicht das »Recht der Natur« dann auch wieder nicht.

Über die Arbeit des Sondervermögens informiert die neue Broschüre „Naturschutz für Hamburg“. Sie kann über die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt bezogen oder im Internet unter www.hamburg.de/naturschutz heruntergeladen werden.

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