Purple Schulz: Der Soundtrack meines Lebens

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als Axel von Koss vom Hörbücher-Sprecher-Projekt hier im Haus im Park diesen Liedtext rezitiert. »Ich hab Feuer gemacht« ist der Titel des Stücks. Es deutet gleich zu Beginn der Veranstaltung – der inzwischen 15. in der Reihe »AltersBilder« – darauf hin, worum es an diesem Dezemberabend gehen soll: Um Leben und Sterben, dazwischen Altern, Krankheit und Tod. Atemberaubend, wie der Senior den Text vorträgt. »Sei eigen, nicht artig und niemals normal«, intoniert er als fröhliche Aufforderung, Verrücktes zu wagen, Spaß zu haben und unbeirrt seinen Weg zu gehen. Der Autor des Stücks, Purple Schulz, Sänger, Komponist und Talk-Gast des Abends, hat sich während des Vortrags im Hintergrund gehalten und sagt danach voller Respekt: »Er hat es genau so gebracht, wie es gemeint ist. So und nicht anders.«

Purple Schulz am 10.12.2013 im Haus im Park, Bergedorf. Im Vordergrund NDR-Moderator Andreas Bormann.
Vor rund 70 Zuhörern befassen sich der Kölner Musiker Purple Schulz und NDR-Moderator Andreas Bormann mit Themen, die viele Menschen vor allem mit Leid und Schmerz in Verbindung bringen: Das Älterwerden, das Sterben und insbesondere das, was Demenz für Betroffene und ihre Angehörigen bedeutet. Diese Themen hat Purple Schulz auch schon in seinem neuen Album »So und nicht anders« verarbeitet. Damit ist er, mit seinen 57 Jahren dreifacher Vater, dreifacher Großvater und dreifacher Sterbebegleiter, prädestiniert für ein Gespräch über diese »schwierigen« Aspekte des Älterwerdens.

Purple Schulz, den seine Eltern auf den Namen Rüdiger tauften und das Klavierspielen lernen ließen, war in seiner früheren musikalischen Laufbahn einer der Protagonisten der Neuen Deutschen Welle, Pop-Sparte. Mit »Verliebte Jungs« landete er schon als Teenager einen Riesenhit, für »Sehnsucht« und den darin enthaltenen, berühmten Schrei »Ich will raus« wurde er preisgekrönt. Äußerlich unterscheidet er sich auch heute kaum von dem drahtigen Jüngling, der damals in den 80ern über die Bühnen hüpfte. Doch inzwischen lassen ihn Älterwerden und Lebenserfahrung ruhiger wirken, nachdenklicher, und auch der berühmte Schrei, den er heute Abend bei einem der musikalischen Intermezzi bringt, kommt etwas gedämpfter als vor 30 Jahren daher.

Mitgebracht hat Schulz nicht nur Songs von seinem neuen Album, die er im Lauf des Abends am Klavier vorträgt, sondern auch den Videoclip zu dem Lied »Fragezeichen«, das in der Trauerzeit nach dem Tode seines zum Ende schwer dementen Vaters entstand. Die Idee dazu hatte Frau Schulz, in die Rolle des Dementen (des Vaters) war Schulz selbst geschlüpft. Im Film sieht man ihn in Bademantel und viel zu großen Schuhen, wie einen blinden Passagier, durch eine zunehmend obskure Welt schlurfen, eine Welt, die er nicht versteht und die ihn nicht versteht. Dieser Kurzfilm ist ein Versuch, die Innenwelt eines vom großen Vergessen zu visualisieren, auch die Unmöglichkeit der Kommunikation mit der Außenwelt. Beim Betrachter lässt er Beklemmung zurück, aber auch ein seltsam beruhigendes Gefühl, vielleicht, weil er die rührende Schutzbedürftigkeit des Kranken über die Furcht vor dem Un-Normalen stellt.

In einem sehr dichten Gespräch mit Andreas Bormann, NDR, offenbart Schulz prägende Erfahrungen, die er während der Krankheit seines Papa und durch die Sterbebegleitungen seiner Eltern und seines Schwiegervaters gemacht hat.

Der Papa war an Morbus Parkinson erkrankt, der mit einer schweren Demenz einherging. »Er hat sich einfach immer mehr eingeigelt und immer weniger kommuniziert. Oft wussten wir gar nicht, was geht eigentlich in ihm vor, wieviel bekommt er noch mit.«, erinnert sich Schulz. Etwa 2 Jahre, bevor die Demenz richtig ausbrach, gab es die ersten Anzeichen von Veränderung. »Man merkte, wie ihm alles entglitt. Am Anfang war er noch richtig sauer, wenn ihm etwas nicht mehr einfiel, später hat er dann einfach auf Kommunikation verzichtet.« Nur wenn die Urenkelchen da waren, da gab es manchmal wieder eine Interaktion, mit Blicken, mit Gesten.

»Aber der Zug war abgefahren, dass wir noch Dinge klären konnten.«, berichtet Schulz und erzählt von seiner Unzufriedenheit über fehlende Antworten, aber auch von der Milde gegenüber dem Vater, die sich mit dessen Erkrankung mitentwickelte. Es wäre besser gewesen, beizeiten auf Antworten zu dringen, meint Schulz nachdenklich und erzählt vom Heimgang des Vaters, der trotz des Dramatischen in aller Ruhe geschah, wie die Familie den Verblichenen ordentlich eingekleidete, wie seine Mutter den Toten nicht gleich hergeben wollte und noch drei Tage bei sich behielt.

»Es ist eine seltsame Sitte in Deutschland, die Toten binnen 6 Stunden zu entsorgen. Es dauert ja eine geraume Weile, bis ein Mensch wirklich tot ist, bis diese Seele ganz entwichen ist und man wirklich Abschied nehmen kann.«, erklärt Schulz. »In dieser Zeit kann man die Veränderungen sehen, die mit dem Verstorbenen vor sich gehen.« Ganz auffällig sei das bei seinem Schwiegervater gewesen, der immer ein sonniges Gemüt hatte und das Sterben einfach annahm und viele Stunden nach seinem letzten Atemzug genau das bekannte Grienen aufsetzte, für das ihn alle mochten.

Jeder stirbt anders, so Schulz' Erfahrung. Und auch, dass im Augenblick des Todes keine Angst da ist, eher Staunen. Hier war der Tod der Mutter für ihn eine überwältigende Erfahrung. Von Schmerzen und großer Unruhe gepeinigt hatte sie tagelang schon mit trüben Augen gelegen. Die ganze Familie war am Sterbebett und Frau Schulz, die Schwiegertochter, sagte: »Lore, du hast heute noch ein Rendezvous. Da oben steht Alfred und wartet auf Dich.« In dem Moment verließ die starke Unruhe die Sterbende, das Gesicht entspannte sich und die Augen wurden noch einmal ganz klar und schauten nach oben. »Ich hielt ihre Hand und spürte, wie sie wie leicht ein Vögelchen davonflog zu ihrem Rendezvous.«, sagte der Sohn, der in dem Augenblick elternlos geworden war.

Für Schulz hat der Tod keinen Schrecken. Seinen eigenen möchte er bei klarem Bewusstsein erleben, einfach nur heimgehen, sagt der Sänger. Und: »Der Tod gehört zum Leben und wir tun gut daran, ihn aus der Tabuzone wieder ins Leben zu holen. Der Tod ist wie der Sturm Xaver: Man kann sich auf ihn vorbereiten, dann überrollt er einen nicht.« Seit ihm das klar geworden ist, ist er ganz gelassen, was den Tod angeht.

Mehr Augenmerk müsse auch der Demenz als wachsendem gesellschaftlichen Problem gelten. Inzwischen kennt jeder, und wenn auch erst nur über drei Ecken, jemanden, der dement ist oder einen dementen Angehörigen hat. Aber: »Demenz ist das Thema unserer Zeit und wir tun gut daran, uns darauf vorzubereiten, damit es uns nicht überrascht.«, beschwört Schulz. In Deutschland leben gegenwärtig mehr als 1,4 Millionen Demenzkranke. Jedes Jahr kommen 40.000 Neuerkrankungen hinzu.

Mit dem Song »Fragezeichen« hat Schulz nicht nur seine persönlichen Erfahrungen bearbeitet, sondern auch einen zeitgemäßen gesellschaftlichen Beitrag geleistet. Der Sänger berichtet von der Ur-Aufführung des Songs anlässlich des Alzheimer-Kongresses 2012 in Hanau. Überraschend sei die große, lange Stille gewesen, nachdem der letzte Ton verklungen war, und auch der Riesenapplaus, der dann kam. Inzwischen ist das Fragezeichen-Video bei Pflegeberuflern und Angehörigen von Dementen sehr verbreitet, weil es ein echter Mutmach-Beitrag ist.

»Sterben, Tod, auch Demenz – sie sind Themen unseres Lebens, mit ihnen müssen wir uns auseinandersetzen.«, sagt Schulz. »Als Jüngerer machte ich ja Popmusik, das war da der Soundtrack meines Lebens. Jetzt bin ich 57 und jetzt ist das der Soundtrack meines Lebens.« Die eigene Endlichkeit vor Augen will Purple Schulz jetzt nochmal »einen Haufen Songs schreiben«, nächstes Jahr auf Tour gehen und ohne Stress und äußere Zwänge »sein Ding durchziehen«. Früher habe er unbedingt nach Tasmanien gewollt, aber »mittlerweile ist mir das zu anstrengend«, lacht der immer noch jung wirkende Musiker. »Da kommt das Alter.«, ergänzt der gleichaltrige Moderator lachend und das Publikum lacht mit.

Ein Abend mit Purple Schulz im Haus im Park, Bergedorf, 10.12.2013

Bericht Reihe »AltersBilder«, Körber-Stiftung, Haus im Park, in Kooperation mit NDR Info.
Moderation: Andreas Bormann


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