Windräder in den Vier- und Marschlanden: Mehr Bürgerbeteiligung gefordert

WEA Neuengamme vom Kiebitzdeich aus gesehen
Windpark Neuengamme im Jahre 2011 vom Kiebitzdeich aus gesehen. Ins Foto montiert: Eine 2MW-Anlage (Typ Enercon E-82 mit 110 m Gondelhöhe) und der Hamburger Michel zum Höhenvergleich.
»Japan denkt über den Atomausstieg nach«, titelte gestern die Süddeutsche Zeitung. Demnach will nun auch Japan endlich den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. Der Schock nach der Havarie der Atomfabriken in Fukushima vor mehr als einem Vierteljahr hatte nicht gereicht, aber die ersten schrecklichen Folgen, die schon auftreten, scheinen jetzt endlich Wirkung zu zeigen: Endlich kommt auch Japan kommt drauf, dass nur die bedingungslose Abkehr von der tödlichen Technologie eine Zukunft ermöglichen kann.

Deutschland ist da schon weiter: Am 8. Juli 2011 hat der Bundesrat das Gesetz zum Atomausstieg bis 2022 beschlossen und damit die "Energiewende" weg vom Atom hin zu Sonne, Wind, Erdwärme und Sparsamkeit besiegelt. Doch obwohl Deutschland noch im Jahre 2010 mehr als 8 Milliarden Megawatt Strom "übrig" hatte und ins Ausland exportieren konnte, befürchten manche, die Abschaltung der Atomkraftwerke könnte zu Energieengpässen führen. So oder so, die alternative Energiegewinnung muss jetzt zügig ausgebaut werden. Allerdings mit deutlich mehr Bürgerbeteiligung, denn gerade gegen die massenhafte Installation von Windkraftwerken in unmittelbarer Nähe wehren sich viele Bürger. In Hamburg sind vor allem die Bewohner der Vier- und Marschlande betroffen und die machen aus ihrem Unmut keinen Hehl.

Vier- und Marschländer fordern standortgerechten Ausbau der Windkraft

Warum muss Hamburg sein deklariertes Soll an Strom aus Windenergie ausgerechnet in den Vier- und Marschlanden holen? Ist es wirklich nötig, Bauhöhen von 100 und mehr Metern (Gondelhöhe) anzustreben? Gibt es keine alternativen Lösungen? Diese und weitere Fragen stellen mittlerweile zwei Bürgerinitiativen in den Vier- und Marschlanden. Die »BI-W-O – Bürgerinitiative gegen Windkraft Ochsenwerder« in den Marschlanden und die »Bürgerinitiative Kiebitzdeich« in den Vierlanden.

Die Anwohner am Kiebitzdeich leben in unmittelbarer Nähe des Windparks in Neuengamme. Eine Verdoppelung der Nabenhöhe finden sie schlicht »unmenschlich«. Sie fordern »Windkraft mit menschlichem Maß« und schreiben dazu:
»Niemand, der so nah am AKW Krümmel wohnt, kann ewas gegen erneuerbare Energien und damit gegen Windkraft haben. Der Kiebitzdeich beherbergt bereits 12 Windräder, die ohne Widerstand der Anwohner erst vor 15 Jahren errichtet wurden. Damit leisten die Kiebitzdeicher trotz Wertminderung ihrer Immobilien ihren Beitrag zur Energiewende schon lange.
Aber: Der gesetzlich vorgeschriebene Abstand von 150 m hohen Windkraftanlagen zu geschlossener Wohnbebauung beträgt in Hamburg nur 500 m, in anderen Bundesländern ist er wesentlich höher. Dieser Wohnabstand zu solchen Windkraftmonstern ist unmenschlich. Die Belästigung durch Lärm, Schlagschatten, Höhenbefeuerungsanlagen und Infraschall steigt und somit auch die Angst vor gesundheitlichen Schäden.«


Rathaus Bergedorf, Großer Sitzungssaal, Bürgerloge
Sondersitzung des Stadtplanungsausschusses zum Thema Repowering in den Vier- und Marschlanden: Vom vollbesetzten Bürgerrang durften keine Wortmeldungen kommen.
Bisher hatten die Bürgerinitiativen wenig Chance, sich in die Standort- und Ausbaudiskussion einzubringen. Die Windkraft in Hamburg zu »repowern« hatte der Senat bereits 2007 mit dem Klimaschutzkonzept (PDF) initiiert. Auf dem Weg zur Klimahauptstadt 2011 wurden Bürgerschaft und Behörden beauftragt, die bisher vorhandenen 50 Megawatt Windstrom auf 100 Megawatt aufzustocken. Flächen wurden gesucht, Gutachten erstellt und die Vier- und Marschlande als eines der ganz wenigen Gebiete mit verfügbaren Flächen für Windkraftanlagen (WKA) im Stadtstaat Hamburg ermittelt. Die Öffentlichkeit wurde erstmals im November 2010 bei einer Info-Veranstaltung im Lichtwarkhaus (PDF) in Bergedorf offiziell über die Planungen in Kenntnis gesetzt und konnte initiale Fragen stellen, von denen dem Vernehmen nach die meisten auch protokolliert (PDF) wurden und in die weiteren Planungen mit einfließen sollen.

Bisher wenig Mitspracherecht für betroffene Bürger
Olaf Grotheer am Rednerpult
Sieht die Planungen für das Repowering im Bergedorfer Landgebiet kritisch: Olaf Grotheer (CDU) am Rednerpult bei der Sondersitzung des Stadtplanungsausschusses.

Ansonsten haben die Vier- und Marschländer bis heute nur Gelegenheit bekommen, sich im Regionalausschuss bzw. im direkten Dialog mit einzelnen Vertretern in der Lokalpolitik zu äußern. Was sie allerdings fleißig tun, wie in den Regionalausschusssitzungen oder zum Beispiel gegenüber dem Abgeordneten Olaf Grotheer, der sich intensiv für die Bürger in Ochsenwerder einsetzt. Seine Rede (PDF), gehalten bei der Sitzung des Stadtplanungsausschusses, legt davon Zeugnis ab und steht in einer Linie mit der Haltung seiner Fraktion, die bereits 2009 per Antrag (PDF) Forderungen gestellt und 2011 erneut per Antrag (PDF) unter anderem eine Abstandregelung von 1500 Metern zwischen Wohnbebauung und WKAs gefordert haben.

Abgesehen von einigen Landbesitzern, die bereits im Jahr 2009 von potentiellen Pächtern oder Käufern angesprochen wurden, die sich vorausschauend Flächen sichern wollen, auf denen vielleicht einmal Windräder stehen sollen, hatten die Bürger keine weitere Beteiligungsmöglichkeit. Diese ist erst vorgesehen, wenn die entsprechenden F-Pläne (Flächennutzungspläne) bzw. B-Pläne (Bebauungspläne) ausgelegt werden. Erst dann können Betroffene schriftlich Einwendungen erheben, die dann staatliche Entscheidungen beeinflussen sollen. In der Zwischenzeit greifen die Bürger zu anderen Maßnahmen, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen: Sie verteilen Flugblätter, sammeln Unterschriften, reden mit Politikern und Presse und stellen wie hier in Ochsenwerder Transparente auf.

Stadtplanungsausschuss: Entschieden ist bis jetzt nichts

Bei der am 7. Juli 2011 stattgefundenen Sondersitzung des Bergedorfer Stadtplanungsausschusses durften die betroffenen Bürger nur zuhören, Wortmeldungen waren ihnen nicht erlaubt. Dort bekamen sie immerhin mehr zu hören, als selbst Politikern und Behördenvertretern bis dahin bekannt war. Denn den ersten Tagesordnungspunkt bestritt Professor Beba, Wirtschafts- und Marketingfachmann und Leiter des »CC4E« der HAW Bergedorf, mit einem äußerst informativen Vortrag. Das CC4E (Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz) ist eine Einheit, die fakultätsübergreifend sämtliche Aktivitäten auf den Gebieten der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz an der HAW Hamburg unterstützt und nach innen und außen kommuniziert.

So erläuterte Beba zunächst den Stand der Dinge (Atomkraft hat in Deutschland bisher rund ein Viertel der Stromproduktion bestritten), dann die Maßnahmen zum Ersetzen der wegfallenden Atomkraft: Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung und Sparsamkeit beim Stromverbrauch. Die neuen Technologien auch als Jobmotor und als Chance für Deutschland, weiterhin Vorreiter bei Spitzentechnologien zu sein, hob Beba besonders hervor.

Dann ging Beba in medias res und überraschte alle, Politiker, Bürger und auch die anwesenden Behördenvertreter, mit den Plänen der HAW. Eine Dependance der HAW soll, so ist der Wunsch, an den Schleusengräben (Windlabor) und in fußläufiger Entfernung südöstlich des Autobahnanschlusses Bergedorf (5 WKA mit einer Gondelhöhe von 120 Metern und einer Leistung von jeweils 3 Megawatt) entstehen (s. a. Bericht in der BZ). Dort soll die Technologie großer WKA weiter erforscht werden, mit der Unterstützung potenter Partner (dem Ingenieur Dr. Augustin sowie den Firmen Vestas und HamburgEnergie), die zunächst 15 Mio. Euro in Form von Stiftungskapital bereitstellen. Die Anlagen würden Profit abwerfen, so Beba, die Finanzierung wäre anschließend sichergestellt. Dass die Windkraftforschung in Bergedorf besser aufgehoben sei als im auch zur Diskussion stehenden Harburg, machte Beba ebenfalls klar: Die TU Harburg sei eher maritim ausgerichtet, die HAW dagegen geradezu prädestiniert, dieses Industrieforschungsprojekt als wissenschaftlicher Partner zu begleiten.

Die Standortidee dürfte für Bergedorf nicht unattraktiv sein, dem Stadtsäckel würde der Extrahappen bestimmt schmecken. Denn Seit Januar 2009 ist ein neues Gewerbesteuergesetz in Kraft, welches den Standortgemeinden von Windparks mindestens 70% des Gewerbesteueraufkommens rechtlich zuspricht. Die restlichen 30% erhält weiterhin die Kommune, in der der Sitz der Betreibergesellschaft angesiedelt ist (Gewerbesteuergesetz, §29 ff.), wie der »Bundesverband Windenergie e.V. in seiner Imagebroschüre (Mai 2011) schreibt (PDF).

Stadtplanungsausschusssitzung in Bergedorf am 7. Juli 2011
Vertreter der BSU antworteten auf Politikerfragen.
Den hochfliegenden Plänen Bebas folgte die Ernüchterung auf den Fuß. Alle Vertreter der BSU (Behörde für Umwelt und Stadtentwicklung), die eingeladen worden waren, um im Stadtplanungsausschuss Fragen von Bergedorfer Lokalpolitikern zu beantworten, zeigten sich überrascht. Karen Bruns, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, und Angelika Fritsch, Landschaftsplanerin aus dem Amt für Landes-und Landschaftsplanung, Abteilung Landschafts- und Grünplanung, erklärten: Von 3 MW-Anlagen sei bislang nie die Rede gewesen. Auch sei die gesamte bisherige Flächensuche und Planung von maximal 100 Metern Gondelhöhe ausgegangen. Landschaftsplanerin Silke Lucas machte deutlich, dass bei allen behördlichen Überlegungen das Landschaftsbild eine wesentliche Rolle spiele und dass landschaftlich wertvolle Flächen nicht durch das Repowering in Mitleidenschaft gezogen werden dürfen. Wenn höhere Höhen der WKAs angestrebt würden, müssten alle Berechnungen neu gemacht werden. Dass das aber nicht sinnvoll sei, merkte Günter Schäfers an, Fledermausexperte aus dem Amt für Natur- und Ressourcenschutz, Abteilung Naturschutz, der 100 Meter Gondelhöhe im Landgebiet schon für »gewaltig« hält und noch höhere Höhen für unvereinbar mit dem gebotenen Fledermausschutz.

Gründung eines Runden Tisches angeregt

Nach längerem Politiker-fragen-Behörden-antworten kristallisierte sich heraus, dass noch Vieles offen ist, es viele Ideen gibt und noch mehr Diskussionsbedarf. Ernst Heilmann (Die Linke) machte schlussendlich einen prima Vorschlag: Es solle ein Runder Tisch gegründet werden, an dem Politiker, Bürger und Behördenvertreter gemeinsam versuchen, Lösungen zu erarbeiten.

Zur Ergänzung: Zwei Beispiele aus Deutschland, wie es gehen kann

Dabergotz, Ruppiner Land: Die Autobahn im Vorgarten, den Windpark hinter dem Haus
Noch vor zweieinhalb Jahren hatte sich die Gemeinde Dabergotz im Ruppiner Land vehement gegen die Aufstellung von fünf Windrädern gewehrt.


Dabergotz in der Prignitz. Lieblich war es einst, als Theodor Fontane seine Effi Briest ebendort Anstandsbesuche absolvieren ließ. Heute stellt Dabergotz das totale Negativbeispiel dar für die »technische Überbauung von Landschaften«, wie es im Amtsdeutsch so schön unverfänglich heißt. Auszuhalten ist es dort wohl nur noch mit verschlossenen Ohren und am besten auch mit geschlossenen Augen. Denn heute verläuft die Autobahn durch die Vorgärten von Dabergotz und, als sei dem nicht genug, stehen dicht hinter dem Dorf fünf Windräder. Gegen die hatte sich die Gemeinde bis zuletzt gewehrt - ohne Erfolg.

Straßenschild "Am Windpark" in Feldheim, Brandenburg
Straßenschild »Zum Windpark« im energieautarken Feldheim, Brandenburg
Wie unterschiedlich die Herangehensweisen sein können, zeigt das Dorf Feldheim. Das 50-Haushalte-Dorf im südlichen Brandenburg nahm eine völlig gegensätzliche Entwicklung. Freiwillig und auf eigene Initiative begannen die Feldheimer schon Mitte der 1990er-Jahre, Windräder dichtbei aufzustellen. Hier, im schwach besiedelten Süden Brandenburgs und an den windreichen Abhängen des östlichen Flämings, tun mittlerweile Hunderte der quirlenden Lulatsche nördlich und östlich des Dorfes ihren Dienst. Damit, mit Photovoltaik und mit der Biogasanlage, die die Feldheimer ebenfalls bauen ließen, ist das Dorf heute zu 100 Prozent unabhängig von fremdproduziertem Strom. Was anfangs zumindest in den Nachbardörfern, wenn auch nicht auf wirklichen Widerstand, so doch auf hochgezogene Augenbrauen stieß, ist heute Gewohnheit geworden und stört niemanden.

Positiv- und Negativbeispiele aus anderen Orten, die konstruktiven Ideen, von denen die Vier- und Marschländer bereits viele geäußert haben, und die Arbeit des vorgeschlagenen Runden Tisches lassen hoffen, dass es am Ende eine Lösung für die Windkraft in den Vier- und Marschlanden geben wird, mit der alle Beteiligten zufrieden sein können.

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