Wind gesät, Sturm geerntet: Hamburger Windkraftpläne erzürnen Anwohner

bestehende Windkraftanlage, ca. 72 m Gondelhöhe, ein wenig verzerrt (CC-BY C.Schomann)
Hamburgs Windenergiepläne machen die Anwohner weich. Oder ist mangelnde Bürgerbeteiligung der Grund der Konfrontation?
«Nein, wir haben nichts gegen Windkraft!» Karsten Paulssen, Sprecher der Bürgerinitiative «BIWO» (Bürgerinitiative Windkraft Ochsenwerder), schüttelt energisch den Kopf. So hat er es im April 2011 im Regionalausschuss vorgetragen, so wiederholt er jetzt diesen Satz in der völlig überfüllten Gastwirtschaft an der Sporthalle Ochsenwerder am Elversweg 44, wo sich die BIWO regelmäßig trifft. Im Gegenteil, natürlich müssen regenerative Energien und damit auch Wind stärker als bisher zur Stromerzeugung genutzt werden, das ist ihm und seiner Initiative, der mehr als drei Dutzend Menschen aus dem Westen der Marschlande angehören, auch klar. Gerade vor dem Hintergrund der schrecklichen Geschehnisse im japanischen Fukushima und Deutschlands geplantem Atomausstieg.

Doch die Pläne, die die Hamburger Bürgerschaft jetzt macht und die da bedeuten könnten, dass große 2-Megawatt-Anlagen in nur 300 Metern Entfernung zu Wohnhäusern in Ochsenwerder gebaut werden, erzürnen Paulssen und die BIWO zutiefst, und das wollen sie verhindern.

Mit einer Gondelhöhe von etwa 100 Metern und einer Gesamthöhe von ca. 145 Metern würden diese Windkraftanlagen (WKA) die jetzigen um fast das Doppelte überragen – zu viel, um den Hamburger Mindestabstand zu Wohnbebauung von 300 Metern zu erlauben, finden die Betroffenen und fordern «Mehr Abstand!» Am besten gleich eine bundeseinheitliche Abstandsregelung. Die soll möglichst wie in Nordrhein-Westfalen 1500 Meter oder mindestens die 10-fache Gesamthöhe der jeweiligen WKA betragen.

«Wir bestehen auf mindestens 1500 Meter Abstand zwischen Wohnhäusern und neuen Windrädern.» ist denn auch die Hauptforderung der BIWO (PDF). Denn «Die Hamburger Vorgaben (300 Meter Mindestabstand; Red.) halten keine verträglichen Abstände zwischen Wohnhäusern und Windrädern ein.» Neben Belästigungen durch Lärm, Verschattungen und nächtliche Blinkfeuer (aus Flugsicherheitsgründen) werden auch Wertminderungen bei Grundstücken und Häusern befürchtet, von der nachhaltigen Verschlechterung der kulturlandschaftlichen Attraktivität der Vier- und Marschlande ganz zu schweigen.

Ärgerlich sei auch die scheinbare Alternativlosigkeit, mit der die neuen Windräder ausgerechnet im idyllischen Bergedorfer Landgebiet, den Vier- und Marschlanden gebaut werden sollen. Warum Hamburg als flächenbeschränkter Stadtstaat nicht auf benachbarte Flächenländer wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen ausweicht – mehrfach kommt diese Frage aus den Reihen der BIWO. Die Mutmaßungen reichen von Profitdenken, denn immerhin behalten Gemeinden, die Standorte für Windkraftanlagen bieten, neuerdings 70 Prozent des Ertrages, bis hin zu Hamburg Verpflichtungen, die es eingegangen ist, um «Europäische Klimahauptstadt 2011» zu werden.

Tatsächlich hatte der Hamburger Senat bereits 2007 begonnen, ein Klimaschutzkonzept auszuarbeiten, das unter anderem die Aufstockung der Windenergiegewinnung im Stadtstaat Hamburg von derzeit ca. 55 Megawatt auf 100 Megawatt vorsieht:
3. Erneuerbare Energien
Die energetische Nutzung der Biomasse aus Abfällen soll deutlich vorangebracht, die Windenergie auf eine Nennleistung von mindestens 100 Megawatt ausgebaut, vor allem durch den Abbau alter und den Neubau leistungsstärkerer Windenergieanlagen, und die Nutzung der Photovoltaik sowie der Solarthermie erheblich gesteigert werden.
(Mitteilung des Hamburger Senats an die Bürgerschaft, Dokument vom 21. Januar 2011)
Inzwischen ist klar, wie die Ertragsaufstockung in Sachen Windkraft in Hamburg erfolgen soll: Hauptsächlich durch Repowering, das heißt, Ersatz bestehender WKA durch leistungsfähigere und damit höhere Anlagen. Und die sind optisch prominenter und lauter und werfen längere Schatten – und provozieren Nachfragen und bis jetzt auch Widerstand bei den Nachbarn.

Völlig zu Recht fordert die BIWO mehr Mitspracherecht bei der konkreten Planung. Denn wer könnte besser als die betroffenen Anwohner benennen, wie die Energiewende konkret vor Ort vollzogen werden kann. So, wie die BIWO es formuliert, «Wir meinen, der Mensch geht vor. Energiewende kann nur mit den Anwohnern gelingen und nicht gegen sie.», so sieht das auch die Umweltpsychologin Irina Rau. Sie prognostiziert wachsenden Widerstand in der Bevölkerung, wenn betroffene Anwohner nicht rechtzeitig in die Planungen einbezogen werden.

Die Bezirksversammlung Bergedorf hat in dieser Bürgerschaftsgeleiteten Angelegenheit zwar "nur" beratende Kompetenzen, aber sie will die dringend gebotene Bürgerbeteiligung jetzt stärker umsetzen und lädt Betroffene und Interessierte zur außerordentlichen Sitzung des Stadtplanungsausschusses am 6. 7. Juli um 17:30 Uhr in den Großen Sitzungssaal im Rathaus (Wentorfer Straße, Bergedorf) ein. Dorthin ist auch ein Vertreter der BSU (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt) eingeladen, der die Repowering-Pläne der Bürgerschaft erläutern wird.

Weitere Info und Hintergründe:



Neue Bürgerinitiative in Ochsenwerder!
Die Bürgerinitiative sieht das Vergrößern und Heranrücken geplanter neuer Windenergieanlagen (WEA) in Ochsenwerder kritisch.

Präsentationsfolien Öffentliche Plandiskussion am 2. November 2010 im Lichtwarkhaus: Änderungen des Flächennutzungsplans und des Landschaftsprogramms (PDF)
BSU-Präsentation der angedachten Eignungsgebiete für Windenergieanlagen an Standorten in Ochsenwerder | Neuengamme | Altengamme | Curslack. Mit eindrucksvollen Vorher-Nachher-Simulationen der verschiedenen Standorte.

Niederschrift über die öffentliche Plandiskussion am 2. November 2010 im Lichtwarkhaus Bergedorf (PDF)

Bezirksversammlung Bergedorf: Repowering von Windenergieanlagen in den Vier- und Marschlanden
Mit Datum vom 15.06.2009 stellten Abgeordnete in der Bergedorfer Bezirksversammlung den Antrag, solange auf Repowering bzw. höhere WKA im Bezirk Bergedorf zu verzichten, bis deren Unbedenklichkeit nachgewiesen und Konsens ist.

Energie: Windstrom für den gesamten Bezirk
Jule Monika Witt in der Bergedorfer Zeitung, 12. 05.11
Dieser Artikel gibt den aktuellen Stand aus Sicht von WKA-Betreibern in den Vier- und Marschlanden wieder.

Mehr Watt, bitte!
Niels Boeing in Technology Review, 07.04.11
Ein Austausch älterer Windräder gegen moderne Anlagen würde die Windenergieleistung insgesamt deutlich steigern. Doch der Streit um Anlagenhöhen und Flächenbeschränkungen könnte diese Chance verspielen.

Dass es auch anders gehen kann, wenn Bürger, Politik, Verwaltung und Betreiber von Anfang an zusammenarbeiten, dafür gibt es schon mehrere Beispiele: Das Mühlenfließ Schlalach im südlichen Brandenburg und das energieautarke Dorf Feldheim bei Treuenbrietzen sind zwei davon.

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