Dieses Mahnmal hat in Bergedorf definitiv gefehlt [UPDATE]

Der Schoß ist fruchtbar noch... Ein eiskalt geplanter, perfider Anschlag überschattete heute Nachmittag die Enthüllung des Mahnmals gegen Zwangsarbeit in Bergedorf. Ein Attentäter sprühte neun hochbetagten Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor Beginn der Gedenkfeierlichkeit CS-Gas in die Gesichter, sodass sie notärztlich behandelt und ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Die Verletzten gehörten der Delegation von überlebenden polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern an, die eigens zur Enthüllung des Mahnmals nach Bergedorf gekommen waren. Der Täter wurde sofort von der Polizei festgesetzt. Die Feierlichkeit begann verspätet und mit verkürztem Programm in einer bedrückten Atmosphäre, weil die polnischen Ehrengäste fehlten und auch, weil Alfred Dreckmann sich entschuldigen lassen musste.

Der Künstler Jan de Weryha, die Vize-Konsulin Karoline Kowalska und der Bezirksamtsleiter Arne Dornquast mit dem neuen Bergedorfer Mahnmal gegen die Zwangsarbeit
Der Künstler Jan de Weryha, die Vize-Konsulin Karoline Kowalska und der Bezirksamtsleiter Arne Dornquast mit dem neuen Bergedorfer Mahnmal gegen die Zwangsarbeit
Das Mahnmal hat der Bildhauer Jan de Weryha-Wysoczaski erdacht, anfangs gemeinsam mit der Schülerin Ella Slomann, die den ersten Entwurf konzipiert hat. Es symbolisiert »den Zwang, die Enge und die Angst«, die den aus ihrer Heimat Verschleppten von den Nazis zugefügt wurde. »Es ist schlicht und lässt dem Betrachter Raum, sich seine eigenen Gedanken zu machen.«, findet Bezirksamtsleiter Dornquast.

Es folgt eine Bilddokumentation der Enthüllungsfeierlichkeit.

Vor dem Beginn der Enthüllungsfeier: Die überlebenden Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiter sitzen in der ersten Reihe.
Vor dem Beginn der Feierlichkeit: Die überlebenden Zeitzeugen saßen in der ersten Reihe.
Ein Wasserfleck und gebrauchte Tücher zeugen von der CS-Gas-Attacke auf die Hochbetagten.
Vertrieben von einer irren CS-Gas-Attacke: Nur noch ein Wasserfleck und gebrauchte Tücher zeigen, wo die Hochbetagten gesessen hatten.
Pastorin Angelika Schmidt hatte die schwere Aufgabe, die Eröffnungsrede zu halten.
Pastorin Angelika Schmidt hatte die schwere Aufgabe, die Eröffnungsrede zu halten. Der Vorfall unterstreiche, wie bitter nötig dieses Mahnmal sei.
Auch Bezirksamtsleiter Arne Dornquast rang um Fassung und nannte den Attentäter einen Idioten.
Auch Bezirksamtsleiter Arne Dornquast rang um Fassung und nannte den Attentäter einen Idioten. Die Angegriffenen bat er um Verzeihung.
Die Enthüllung des Mahnmals nahmen die polnische Vizekonsulin Karoline Kowalska und Arne Dornquast vor.
Die Enthüllung des Mahnmals nahmen die polnische Vizekonsulin Karoline Kowalska und Bezirksamtsleiter Arne Dornquast gemeinsam vor.
»Dieser Krieg war kein normaler Krieg. Alles war kaltblütig vorbereitet und durchgeführt worden.«, sagte die Vizekonsulin.
»Dieser Krieg war kein normaler Krieg. Alles war kaltblütig vorbereitet und durchgeführt worden.«, sagte die Vizekonsulin.
Barbara Hartje, KZ-Gedenk- stätte, war erschüttert, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter noch einmal so verletzt worden sind.
Barbara Hartje, KZ-Gedenk- stätte, war erschüttert, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter noch einmal so verletzt worden sind.

Der Gewerkschaftchor sang Lieder, wie man sie in den 1930er- und 40er-Jahren sang, auf Deutsch und auf Polnisch, auch über Auschwitz.
Der Gewerkschaftchor sang Lieder, wie man sie in den 1930er- und 40er-Jahren sang, auf Deutsch und auf Polnisch, auch über Auschwitz.
Wilhelm Elsken, Lehrer an der G19, fand diplomatische Worte für seinen Bericht über die Zusammenarbeit seiner Schüler mit dem Künstler bei der Herstellung der Betonstele.
Wilhelm Elsken, Lehrer an der G19, fand diplomatische Worte für seinen Bericht über die Zusammenarbeit seiner Schüler mit dem Künstler bei der Herstellung der Betonstele.
1933 nach Dresden verschleppt, musste der Schwiegervater dieses Teilnehmers bis Kriegsende für seinen Todfeind schuften. Seine »Arbeitskarte« spricht immer noch laut über dies Unrecht.
1933 nach Dresden verschleppt, musste der Schwiegervater dieses Teilnehmers bis Kriegsende für seinen Todfeind schuften. Seine »Arbeitskarte« spricht immer noch laut über dies Unrecht.


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Vor dem Mahnmal ist eine Bronzetafel in den Boden eingelassen: »UNRECHT NIEMALS VERGESSEN!«
Vor dem Mahnmal ist eine Bronzetafel in den Boden eingelassen: »UNRECHT NIEMALS VERGESSEN!«
Inschrift auf der Gedenktafel:

UNRECHT NIEMALS VERGESSEN!

Während der Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1933 und 1945, wurden über 13 Millionen Frauen und Männer aus über 24 Nationen deportiert und zu Zwangsarbeiten gepresst. Die Verschleppten stammten aus allen Teilen Europas, die meisten aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich.

Auch in Bergedorf wurden Tausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge des KZ Neuengamme, darunger auch Kinder, zur Sicherung der Kriegsproduktion eingesetzt. Sie waren unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht, allein 15 Lager und Arbeitsorte befanden sich entlang der Kampchaussee, heute Kurt-A.-Körber-Chaussee. Nahezu jeder Bergedorfer Betrieb profitierte von der Zwangsarbeit.

Dieses Mahnmal soll daran erinnern, welches Unrecht ihnen angetan wurde, damit nie wieder geschieht, was damals geschah.

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Das neue Mahnmal aus einer unterirdischen Perspektive. Manche wünschen sich eine zweite Stele hinzu - für die Zwangsarbeiter der aktuellen neoliberal-globalisierten Ära...


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NACHTRAG 4. Oktober 2012:

Wie schon wenige Stunden nach dem Anschlag bekannt wurde, handelt es sich bei dem Attentäter um den polizeibekannten Lohbrügger Neonazi Frank A..

Weil der Umstand, dass dies ein Neonazi und nicht einfach nur ein verwirrter (= psychisch kranker) Mensch ist, wie es eilfertig in der Standardpresse dargestellt wurde nach dem Motto »Bergedorf? Hat doch kein Nazi-Problem!!«, fand am letzten Freitag, dem 28. September ein Spontandemo gegen die Verharmlosung des real existierenden Neonazismus in Bergedorf statt. Dort machten Antifaschisten diesen zentralen Punkt noch einmal deutlich:
Auch Bergedorf hat ein Nazi-Problem! Immernoch!

NACHTRAG 29. Oktober 2012

Auch eine Art des Gedenkens: Tattoos als Symbol für Schmerz und Unaussprechliches, tagesschau 29.10.2012

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