Hamburg: Fracking noch lange nicht vom Tisch

14.12.2013 | Als auf den Tag heute vor einem Jahr ein gewisses Schreiben das»Landesbergamt« in Hannover (korrekter Name: Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie; kurz: LBEG) verließ, hatte wohl niemand erwartet, dass das derartige Wellen in Hamburg schlagen würde. Doch das Schreiben enthielt den Bescheid für ExxonMobil [PDF][1], den Hamburger Süden von Altengamme bis Harburg nach Gas und Öl zu durchforschen zu dürfen und, im Falle, dass das Unternehmen fündig wird, auch eine Förderbewilligung erwarten zu können. Wohl mit allem, was zum Öl-/Gasbohren dazu gehört: Bohrtürme, zubetonierte Landschaft, heftiger LKW-Verkehr, Lärm -- und, so kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, auch Fracking.

Als das publik wurde, erhob sich eine Welle der Empörung. Die politischen Gremien im Bezirk Bergedorf waren sich fraktionsübergreifend schnell klar, dass sie Fracking ablehnen, die in Harburg etwas später auch. Bis auf die FDP lehnen die Bürgerschaftsfraktionen Fracking »grundsätzlich« ab. CDU, SPD und Grüne arbeiten noch an einem interfraktionellen Petitum haben eben den Senat aufgefordert, »die Anwendung der Fracking-Technologie unter Einsatz umwelttoxischer Substanzen zur Aufsuchung und Gewinnung unkonventioneller Erdgas- und Erdöllagerstätten in Hamburg und Umgebung weiterhin abzulehnen« und zwar solange, bis die Wissenschaft dem Fracking einen Persilschein ausstellt, so das Petitum sinngemäß weiter.
Die Linke beharrt auf ihrer Forderung nach einem Erkundungsstopp und einem Förderverbot bei der unkonventionellen Erdgasförderung.

Es bildeten sich zwei Bürgerinitiativen -- eine in Bergedorf und eine in Harburg --, die nach Kräften aktiv gegen Fracking im Allgemeinen und gegen die Aufsuchungserlaubnis Vierlande im Besonderen vorgehen.

Bereits zwei Monate nach der Erlaubniserteilung, im Februar, lagen Teile der Erlaubnisakte Vierlande offen. Die initiativen Bürger gelangten alsbald zu der Auffassung, dass die Erlaubnis Vierlande rechtswidrig erteilt worden ist. Sie führten zwei wesentliche Gründe dafür an: Zum einen war die Stellungnahme der Umweltbehörde unzureichend berücksichtigt worden. Diese hatte ausführlich begründet, dass die Erlaubnis, u. a. wegen der Sorge ums Trinkwasser und weil Fracking nicht ausgeschlossen ist, nicht erteilt werden soll. Zum anderen stellen die Initiativen in Frage, dass das LBEG überhaupt zuständig war, eine solch schwerwiegende Entscheidung wie diese Erlaubniserteilung für Hamburg zu treffen.

Am 12. April organisierte die BI FrackingFreies Hamburg eine erste Demonstration gegen Fracking in Bergedorf. In der Anhörung im Regionalausschuss Vier- und Marschlande am selben Tag brachten sie mit spitzen Fragen die Vertreter der Bergbehörden und des Unternehmens ins Schwitzen. Während die Vertreter der Wirtschaftsbehörde und des LBEG beteuerten, dass mit der Erlaubnis ja nur »Schreibtischarbeiten« erlaubt seien, gaben die Vertreter von Exxon unumwunden zu, dass sie gefundenes Öl/Gas selbstverständlich auch fördern wollen -- gegebenenfalls auch mit Fracking.

Olaf Scholz und Hamburgs Erdöl
Treibt die zunehmende Geldnot den Senat dazu, Fracking zu riskieren? Ein Blick in die Heimatkunde beim NDR.
Senat mauert

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Erlaubnis hatten Abgeordnete begonnen, Erklärungen vom Senat zu fordern. Dieser wollte zunächst nicht einmal das zugeben, was durch Presseveröffentlichungen längst bekannt war. Bis heute wehrt sich der Senat einzugestehen, dass mit der Erteilung der Erlaubnis Vierlande Fracking auf Hamburger Gebiet bergrechtlich ermöglicht worden ist. Senatorin Jutta Blankau versprach in der Senatsanhörung am 22. August: »Es wird in Hamburg kein Fracking geben.« Gemeinschädliche Wirkungen durch Bergbau seien in Hamburg nicht zu erwarten, sagte die Senatorin.

Ihre Begründung, man habe mit dem Unternehmen abgesprochen, dass auf Hamburger Gebiet nicht gebohrt werde, war unglaubwürdig. Zum einen widersprach sie dem, was Exxon in Bergedorf im April kundgetan hatte, zum anderen hätte dann Klaus Söntgerath vom LBEG in derselben Anhörung nicht immer wieder ausführlich beteuern müssen, dass über »Fracking oder nicht Fracking« in einem späteren Betriebsplanverfahren entschieden werden könne.

LBEG unzuständig

Auch die eigentlich erwiesene Unzuständigkeit des LBEG mochte der Senat nicht zugeben. Vor einem Jahr, als die Erlaubnis erteilt wurde, waren in sämtlichen relevanten Rechtsvorschriften nämlich Behörden als zuständig benannt, die schon seit bis zu 10 Jahren nur noch in den Geschichtsbüchern existieren. Das LBEG, das die Erlaubnis erteilt hatte, tauchte in keiner Hamburgischen Vorschrift auf. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, diese auf den aktuellen Stand zu bringen. Das ist im Grunde ein Skandal, denn so erfüllt die Erlaubniserteilung durch das unzuständige LBEG im schlimmsten Fall den Tatbestand der Amtsanmaßung, im geringsten Fall aber zeugt das von Schlampigkeit, die das vorgebliche Handeln "nach Recht und Gesetz" wie Hohn erscheinen lässt.

Die vom Senat behauptete Rechtsnachfolge des heutigen LBEG konnte die Bürgerinitiative in einem langwierigen Hin und Her widerlegen. Inzwischen, nach der öffentlich gewordenen Schlampigkeit veralteter Rechtsvorschriften, hat der Senat die Zuständigkeitsanordnung aktualisiert und das LBEG zuständig gemacht. Allerdings nicht mit rückwirkender Wirkung, sodass der Tatbestand der Unzuständigkeit deswegen nicht behoben ist.

Dazu kommt, dass das Hamburgische Bergbehördengesetz nach wie vor historische Behörden als zuständig führt, die es nicht mehr gibt. Ein Gesetz ist aber nach Auffassung von Fachleuten höher anzusiedeln als eine Zuständigkeitsanordnung. Auch hier hat der Senat also seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Eine Frage, die der Senat aktuell zu beantworten hat, ist jedenfalls, ob die für den 14.12.2012 -- den Tag der Erlaubniserteilung Vierlande -- erwiesene Unzuständigkeit des LBEG dazu führen muss, dass der Verwaltungsakt der Erlaubniserteilung zurückzunehmen ist.

Irreführende Pressemeldungen

Die Bundesregierung hat sich dieses Jahr sehr angestrengt, Bedenken zu zerstreuen. Im Frühjahr sollten dem Fracking angeblich engere Grenzen gesetzt werden, mit einer Gesetzesinitiative der Bundesminister Rösler und Altmaier. Der Gesetzentwurf scheiterte mehrmals im Kabinett und wurde, als er drohte, Wahlkampfthema zu werden, auf Eis gelegt. Der Mainstream-Presse gelang es daraufhin, das Thema Fracking in den Köpfen als »erledigt« zu markieren.

Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen konnte das Thema nicht ignoriert werden, weil Initiativen und Verbände bundesweit Druck auf die Koalitionäre machten. Ganze 25 Zeilen widmet die GroKo dem Fracking, die direkt aus den Marketingabteilungen der Ölkonzerne stammen könnten, so geschickt suggerieren sie Entwarnung. Die Mainstream-Presse nahm's abermals auf und in den Köpfen der Allgemeinheit setzte sich erneut fest: »Fracking ist erstmal vom Tisch.«

Eine Auffassung, die bei näherem Hinsehen revidiert werden muss: Es gibt kein Fracking-Moratorium! Nicht nur das: Die Technik des Fracking soll weiter verbessert werden. Um das Risiko zu verringern, wie es heißt. Dazu soll mit Steuergeldern finanzierte Forschung initiiert werden. Vergessen wird dabei, dass das großflächige »Aufknacken« von Gesteinsformationen niemals kontrollierbar risikolos geschehen kann.
Und der alte Gesetzentwurf von Rösler und Altmaier soll nun einen neuen Anlauf nehmen -- jenes Gesetz, das zu Recht als »Frackingfördergesetz« bezeichnet wird, weil es erstmalig Fracking auf 86 Prozent der Landesfläche ausdrücklich erlauben würde. Dabei wird allerdings vergessen, dass gefracktes deutsches Gas keinen nennenswerten Beitrag zum projizierten Primärenergiemix Deutschlands leisten kann und daher energiepolitisch nicht notwendig ist. Zu dem klaren Ergebnis kommen sowohl KfW als auch ZEW und SRU.

Viele Anzeichen sprechen dafür, dass sowohl der Koalitionsvertrag als auch der Gesetzentwurf nur als »Beruhigungspillen« gedacht sind. In Wirklichkeit kaschieren sie nur, dass die tonangebenden Politiker den herbeigeredeten Verheißungen erklecklicher Gasmengen aus dem deutschen Untergrund mit der neumodischen »Technologie« Fracking erlegen sind. Unabhängigkeit von Russland, Arbeitsplätze, Wirtschaftsaufschwung, so tönt es aus den Lobbymündern.

Die Nebenwirkungen des Fracking, die Umweltverschmutzung und die Beschleunigung des Klimawandels, zudem das Ausbremsen der Energiewende, werden im »Beipackzettel« des Koalitionsvertrags geflissentlich unter den Teppich gekehrt.

Dennoch sind diese Pillen wirksam, das beweist, wieder einmal, die Mainstream-Presse, die die Mogelpackung der breiten Öffentlichkeit andient. Der häufigst gehörte Satz, den Aktivisten zurzeit hören, ist die erstaunte Frage: »Wieso? Ich denke, Fracking ist vom Tisch?«

Immer weiter geht in Deutschland das Austeilen von Lizenzen, die Fracking ermöglichen -- zuletzt pikanterweise in unmittelbarer Nähe zum Atomlager Gorleben. Wie immer werden auch weiterhin Betriebspläne für Bohrvorhaben eingereicht. Auch für Fracs: »Fracking-Pläne von Exxon schreiten voran«.

Die Behörden arbeiten wie gehabt, das Berggesetz gilt unverändert. Am Rechtsrahmen der Aufsuchungserlaubnis Vierlande hat sich in dem Jahr, in dem es sie nun gibt, nichts geändert. Was ExxonMobil am 12. April 2013 im Regionalausschuss kundgetan hat, hat weiterhin Bestand. Bis die Politik daran etwas ändert und/oder es gelingt, den Erlaubnisbescheid auf dem Rechtsweg vom Tisch zu fegen.

anti-Fracking-Aktivisten aus Hessen und Hamburg vor der Energiewenden-retten!-Demo in Berlin (30.11.2013)
Unter den 16.000 Teilnehmern waren auch anti-Fracking-Aktivisten aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen, Baden-Württemberg und Österreich bei der Energiewenden-retten!-Demo in Berlin (30.11.2013)


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[1] Genau genommen wurde die Aufsuchungserlaubnis Vierlande dem Unternehmen BEB GmbH & Co. KG erteilt. Die BEB gehört je zur Hälfte der ESSO und der Shell. Der Erlaubnisantrag wurde von der ExxonMobil Productions Deutschland GmbH (EMPG), einer Tochter der ExxonMobil, namens und im Auftrag der BEB gestellt.

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