Annäherung? Scheinriesen in der Kulturlandschaft

Reisegruppe am Windpark Pattensen, Landkreis Winsen/Luhe
Die MM92-WKAs im Windpark Pattensen rauschen bei knapp unter 4 Windstärken etwa so laut wie die ca. 3 km entfernte Autobahn: Auf diesem Weg konnte man das testen.
Am 16. Januar 2012, kurz nach Sonnenaufgang, traf eine etwa 36-köpfige Gruppe Bergedorfer am Windpark von Pattensen ein. Dies war die Exkursion, die im letzten Jahr nach dem Vorschlag von Rainer Deutschmann (BI-W-O) beschlossen und von Stadtplaner Axel Schneede organisiert worden war. Sie sollte die Diskussionen zum Repowering in den Vier- und Marschlanden mit praktischer Anschauung unterfüttern, die theoretischen Gefühle in Sachen Lärm und optischem Eindruck in Erfahrungen umwandeln.

Die Teilnehmer waren Mitglieder der Bürgerinitiativen Ochsenwerder und Kiebitzdeich, Lokalpolitiker aller Fraktionen, Mitarbeiter der Bergedorfer Verwaltung und des Ingenieurbüros NET OHG in Bergedorf. Empfangen wurde die Gruppe vor Ort von Kati Domrös und Bernd Meyer vom Betreiberunternehmen des Pattenser Windparks, der Winenergie GmbH in Winsen/Luhe. Dieser Windpark eigne sich gut zur Anschauung, sagte Jens Heidorn von der NET OHG, weil hier exakt die Windkraftanlagen (WKA) stehen, die auch in den Vier- und Marschlanden aufgebaut werden sollen: Die Repower MM92 mit einem schlanken, 100 Meter hohen Stahlrohrmast, 92 Metern Rotordurchmesser und einer Leistung von rund 2 Megawatt. Bei dieser Ortsbegehung zeigte sich ein bemerkenswertes optisches Phänomen: Es war dem menschlichen Auge relativ egal, ob die WKA 500 oder 1000 Meter entfernt stand – unabhängig von der Entfernung wirkten sie in diesem Gelände annähernd gleich groß. Die Skepsis der Gegner konnte das allerdings nicht beseitigen. So geht die Diskussion am 21. Februar 2012 vielleicht vor den Sommerferien im Umweltausschuss weiter, Thema: Abstände und Flächennutzungspläne.

Bernd Meyer gibt einen Überblick über den Windpark Pattensen.
Bernd Meyer gab einen Überblick über den Windpark Pattensen.
Anwohner sowohl aus Ochsenwerder als auch vom Kiebitzdeich in Neuengamme wehren sich seit über einem Jahr gegen höhere WKAs, die dichter als die seit 20 Jahren in ihren Windparks drehenden Windräder an die Wohnbebauung aufgestellt werden sollen. Sie fürchten Lärmbelästigung, auch durch Infraschall; Schattenschlag; Beeinträchtigung durch Höhenbefeuerung; Gefahren für Vögel und negative Auswirkungen auf die gewachsene Kulturlandschaft.

Der 35 dBA-Umkreis um den Windpark Pattensen
Bernd Meyer und Kati Domrös zeigten den 35 dBA-Umkreis um den Windpark Pattensen. Der Landkreis Harburg, sagte Meyer, habe zurzeit Windkraftanlagen mit insgesamt 61 MW in Betrieb.
Selbst wenn Gefahren durch Schall ausgeschlossen und auch naturschutzfachliche Bedenken (Vogelschlag) ausgeräumt werden können, so sehen die Gegner des Repowerings doch eine optische Bedrängung und meinen, die weitere technische Überbauung der Kulturlandschaft könnte der touristischen Attraktivität der Vier- und Marschlande Abbruch tun.

Windpark Pattensen, Abstände
Blick in den Windpark Pattensen von Südosten (Perspektive 1). Je nach Wahl könnten die WKA mit der Gesamthöhe von 159 Metern mit roten Flügelspitzen oder mit einer Höhenbefeuerung ausgestattet werden, sagte Jens Heidorn.
Während sich in Bergedorf die Fraktionen der Linken und der FDP/Piraten klar für den Ausbau der Windkraft, nötigenfalls auch in den Vier- und Marschlanden aussprechen, ist die Sache für die CDU nicht so klar. So wird sich der Umweltausschuss in seiner nächsten Sitzung mit der Steigerung der Windenergiekapazitäten auf Hamburger Boden befassen und noch einmal alle Pro- und Contra-Argumente in die Waagschalen werfen. Birgit Stöver, umweltpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft: »Die Auseinandersetzung mit der geplanten Erweiterung der Windenergieanlagen in Hamburg ist uns wichtig. Neben dem fachlichen Aspekt müssen aber auch die Interessen der Anwohner ebenfalls in den Prozess mit einfließen. Gerade für die Bezirke Harburg und Bergedorf hätte dies Auswirkungen. Ziel ist es, eine sowohl sachliche als auch alle Interessen berücksichtigende Lösung zu finden.«

Windpark Pattensen, Abstände
Blick von Nordosten (Perspektive 2) in den Windpark Pattensen: Stadtplaner Axel Schneede würde sich freuen, wenn der Windkraftertrag in den Vier- und Marschlanden demnächst gesteigert werden könnte.
Seit ihrer Eindeichung und Urbarmachung ist die Kulturlandschaft der Vier- und Marschlande einer stetigen Weiterentwicklung unterworfen. Wo vor rund 100 Jahren noch die Ewer die Produkte der Region nach Hamburg brachten und die Pferdefuhrwerke über die unbefestigten Deiche holperten, brummt heute der motorisierte Verkehr, boomt der Hausbau, durchschneiden Stromtrassen das Land und existieren seit rund 20 Jahren bereits mehrere Windparks. An deren Anblick hat man sich längst gewöhnt, aber der Gedanke an die Erhöhung von ~100 auf ~159 Meter Gesamthöhe behagt nicht jedem. Dennis Gladiator aus Kirchwerder, CDU-Fachsprecher für Kommunalpolitik und Wahlkreisabgeordneter aus Bergedorf, meint dazu: »Auch der Erhalt der Kulturlandschaft der Vier- und Marschlande mit ihrer ländlichen Struktur muss bei Entscheidungen über Windenergieanlagen eine Rolle spielen. Wir nehmen die Sorgen und Hinweise der betroffenen Anwohner ernst. Der Ausbau der Windenergie gegen die berechtigten Interessen der betroffenen Anwohner wird nicht zu einem Gelingen der Energiewende führen.«

Standorte der WKA und Positionen, aus denen die Abstandsphänomene fotografiert worden sind
Windpark Pattensen; Standorte der WKA und Positionen, aus denen fotografiert wurde


Welche Interessen schwerer wiegen, die kulturlandschaftlichen, die ökologischen, die wirtschaftlichen etc., muss demnach noch ausdiskutiert werden. Hamburg will weiter wachsen und damit steigt auch der Energiehunger, der mittelfristig ohne die AKWs in Brokdorf und Brunsbüttel befriedigt werden will. Die Notwendigkeit des Atomausstiegs und somit die Erschließung von regenerativen Energiequellen bestreitet heute niemand mehr, nur das »Wie« und auch das »Warum ausgerechnet auf Hamburger Gebiet und nicht in einem angrenzenden Flächenstaat«, das ist nach wie vor heiß umstritten.


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